Rembrandts Orient
Rembrandt und seine Zeitgenossen waren fasziniert von fernen Ländern, aus denen im 17. Jahrhundert große Mengen an Waren in die Niederlande importiert wurden. Turbane und Teppiche, Säbel und Seide: Die Begeisterung für das Fremde und Exotische wurde zu einer Mode, die eine neuartige Kunst entstehen ließ.
Über 100 Meisterwerke
In Bibelszenen, Portraits und Stillleben verbanden sich realistische Motive mit Wunschbildern und phantastischen Projektionen. Die Schattenseiten dieser Entwicklung wurden allerdings nicht dargestellt: das Machtgefälle zwischen den Kulturen, die Sklaverei, Gewalt, Ausbeutung und Handelskriege.
Mit über 100 Meisterwerken von Rembrandt, Jan Lievens, Ferdinand Bol, Willem Kalf und anderen Zeitgenossen thematisiert die Ausstellung die damaligen Bilder und Vorstellungen des Fremden. Allerdings fanden west-östliche Begegnungen nicht auf Augenhöhe statt. Das Fremde wurde geschätzt und in den eigenen Lebensstil integriert, doch das Interesse galt weniger anderen Völkern und ihren Kulturen als vielmehr dem neuen Motivschatz und einem damit verbundenen Prestigegewinn. Der Begriff „Orient“ beschrieb noch zu Rembrandts Zeiten geographisch den östlichen Mittelmeerraum und Asien. Heute ist er belastet, weil der davon abgeleitete „Orientalismus“ ein Überlegenheitsgefühl des Westens gegenüber der arabischen Welt behauptete. Der Ausstellungtitel Rembrandts Orient signalisiert, dass es um die damaligen Sichtweisen geht.
Erfahren Sie in diesem Prolog zur Ausstellung, welche Vorstellungen die Künstler mit „dem Orient“ verknüpften und wie sich Einflüsse fremder Kulturen in ihrer Kunst niederschlugen. Der Prolog sowie das begleitende Programm laden zudem dazu ein, die bis heute wirksamen Klischees und Stereotype eines eurozentristischen Weltbildes zu hinterfragen.
Die Ausweitung des niederländischen Handels auf andere Kontinente brachte den Bürgern der Republik enormen Wohlstand. Exotische Waren strömten ins Land und auch das Wissen über fremde Regionen nahm zu.
So war eine Reise in die Ferne, die ohnehin nur den wenigsten vorbehalten war, keineswegs erforderlich, um mit orientalischen Einflüssen in Berührung zu kommen. Die Verfügbarkeit des Exotischen veränderte Lebensgewohnheiten und Mode – und spiegelte sich auch in der Malerei wider. In Genredarstellungen und Bildnissen (portraits historiés) hielten Motive Einzug, die fernöstlichen Kulturen entstammten und dazu als Statussymbole dienten.
Zurück von einer einjährigen Pilgerreise nach Jerusalem, Damaskus und Aleppo ließ sich Assueer Jacob Schimmelpenninck voller Stolz mit orientalischer Pracht und prunkvollen Mitbringseln in Szene setzen. Fast könnte man meinen, er spiele Sultan: mit Kaftan, Säbel und federgeschmücktem Turban. Auch der massige Hund war ein Souvenir und wirkungsvolles Statussymbol. Aus seinem Reisetagebuch geht allerdings hervor, dass er sich vorwiegend mit dort lebenden Patres oder westlichen Kaufleuten getroffen hatte. Gelegentlich erwähnt er örtliche Gebräuche. Auf ein tiefergehendes Interesse an den erlebten Kulturen lässt dies jedoch nicht schließen.
Ob Maler, Gelehrter, Kaufmann oder Handelsgouverneur: sich in orientalischer Aufmachung zu präsentieren, war „in“.
Es zeugte von Weltgewandtheit und Aufgeschlossenheit für das Neue. Gern trug man etwa einen seidenen japonse rok, einen japanischen Hausmantel. Auch ein beiläufig ins Bild gebrachter persischer Teppich diente als Prestigeobjekt. Er wurde nicht auf dem Fußboden, sondern demonstrativ auf dem Tisch ausgebreitet.
Auf Aelbert Cuyps Gruppenbildnis der Familie Sam haben sich einige Angehörige farbenprächtig mit Tunika und Seidenkleidern kostümiert, andere zeigen sich in strengem Schwarz mit weißem Kragen, wie es in den calvinistisch geprägten Niederlanden üblich war. Liegt darin eine tiefere Bedeutung? Tatsächlich ließen sich niederländische Paare oder Familien gern auch in Rollenbildnissen mit religiösem Bezug verewigen, etwa als Figuren aus dem Alten Testament, deren Verkörperung sie durch fernöstliche Kleidung Ausdruck verliehen.
Die Grundlage für die Beschäftigung mit fernen Ländern war der globale Warenverkehr, den die Niederlande im 17. Jahrhundert entwickelten.
Bildliche Darstellungen von Handelsaktivitäten hatten nicht den Anspruch, Momente des Alltags oder historische Ereignisse wirklichkeitsgetreu wiederzugeben. Vielmehr folgten sie repräsentativen oder dekorativen Zielen. Dies galt sogar für die Schilderung der andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Schattenseiten des niederländischen Fernhandels wie Sklaverei, Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung, die den Reichtum der niederländischen Republik mitbegründeten, waren für die Künstler jedoch kein Thema.
Sie hatten 400 Lasten Pfeffer, 100 Lasten Nelken, außerdem Muskatblüten, Nüsse, Muskat und Zimt, Porzellan, Seide und Seidentuch und andere Kostbarkeiten geladen
Vor dem neu errichteten Amsterdamer Rathaus tummeln sich auf Berrit Adriaensz Berckheydes Gemälde auch einige Männer mit Turban – ein dezenter Verweis auf die alltägliche Präsenz von Angehörigen außereuropäischer Kulturen. Möglicherweise entsprach dieses anekdotische Detail sogar einem realen Moment. Auch Rembrandt, der die Niederlande nie verlassen hat, könnte solche Turbanträger dort gesehen und skizziert haben.
Welchen Ort sonst auf der Erde sollte man wählen, wo all die Waren und all die Kuriositäten, die man sich nur wünschen kann, so leicht zu finden wären wie in dieser Stadt?
Dunkle Wolken am Himmel, flatternde Fahnen: Die bildlichen Darstellungen kriegerischer Konflikte zu Land oder Wasser ziehen alle künstlerischen Register, um die Dramatik detailreich zu steigern – und zu idealisieren. Die Niederländische Ostindien-Kompanie ging ebenso wie ihre Konkurrenten rücksichtslos bei der Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen Interessen vor und befand sich nahezu ständig in bewaffneten Auseinandersetzungen mit Handels- und Großmächten wie Portugal, Spanien, England oder dem Osmanischen Reich. Konkrete historische Schlachten wurden von niederländischen Künstlern dagegen nur selten dargestellt.
Die wenigsten Niederländer hatten die fernöstlichen Regionen mit eigenen Augen gesehen. Für sie war der Orient zuallererst Schauplatz des biblischen Geschehens.
Rembrandt und seine Malerkollegen malten die Geschichten aus dem Alten oder Neuen Testament in felsigen Landschaftskulissen, die sich deutlich von den flachen, grünen Niederlanden unterschieden. Turban tragende Männer und Frauen in prächtigen Phantasiekostümen bevölkern die Bilder. Farben und Muster der schimmernden Seidenstoffe könnten allerdings tatsächlich der importierten Ware entsprochen haben.
Mit Anfang 20 schuf Rembrandt das Gemälde der alttestamentarischen Begegnung des Knaben David mit dem prächtig gekleideten König Saul. Er stellte den König des israelitischen Volkes mit weißem Turban und goldgelbem Mantel wie einen orientalischen Sultan dar. Die Historienmalerei war seinerzeit das höchstgeschätzte Genre der Malkunst. Dazu zählten auch biblische Geschichten, wie der junge Rembrandt sie in leuchtender Farbenpracht zu inszenieren wusste.
Beliebt es Euch, den türkischen Sultan in seiner Pracht darzustellen? So malt ihn in weißem Satin oder silbernem Tuch. [...] Setzt ihm den hohen Turban mit gemalten Federn auf das Haupt.
Die gewählten Bildthemen aus dem Alten Testament waren spannend und voller Emotionen. Sie waren in allen christlichen Glaubensrichtungen verständlich und eigneten sich als Vorbilder für ein tugendhaftes Leben. Die gebildeten Betrachter erkannten in den orientalischen Szenerien zudem ihre eigenen Wünsche und Schwächen wieder.
So wie die Mahlzeiten der Niederländer im 17. Jahrhundert mit Gewürzen fremdländischer Herkunft, wie etwa Pfeffer, Zimt und Muskatnuss, angereichert wurden, schmückten auch die Künstler ihre Historienbilder mit exotischen Versatzstücken aus. Bartholomeus Breenberghs farbenprächtiges Gemälde Joseph verteilt Korn in Ägypten versammelt hell- und dunkelhäutige Figuren, mischt Anleihen aus dem Orient und römische Architekturelemente.
Die Erweiterung des Wissens über ferne Länder schlug sich in einer Fülle von Büchern und Landkarten nieder. Amsterdam entwickelte sich zum Zentrum des Verlagswesens.
Gelehrtenportraits mit aufgeschlagenen Büchern betonten das Ideal der Bildung. Objekte wie Muscheln und andere Kostbarkeiten fanden als begehrte Sammlerstücke ihren Weg in bürgerliche Häuser und spiegelten in Stillleben und Interieurs die Faszination des Exotischen wider. Die Auseinandersetzung mit dem Fremden war vielfältig, aber nur selten von einem tiefergehenden Interesse geprägt. Ein persönlicher Austausch unter Gelehrten verschiedener Länder etwa ist nur in wenigen Fällen dokumentiert.
Willem Kalfs Prunkstillleben feiert den Besitz des Kostbaren und Fremden. Zu den in die Niederlande importierten Gütern zählten nicht nur Gewürze, Stoffe, Porzellan und Teppiche. Auch exotische Objekte, die nicht verwendbar, aber wegen ihrer Seltenheit und Schönheit begehrenswert schienen, wurden eingeführt. Einen Ehrenplatz nimmt in vielen Stillleben die schimmernde Nautilus-Muschel, auch Perlboot genannt, ein. Wie einst die Adligen sammelten wohlhabende Bürger in den Niederlanden solche Raritäten in Kunst- und Wunderkammern.
Seiner Neugier folgend, fand er seit vierzig Jahren Freude am Sammeln, Art für Art, Muscheln und Mineralien, die auf all den Schiffen aus Italien und anderen Teilen der Welt ankamen. Er errichtete ein faszinierendes Kabinett.
Die Erschließung der Welt fand ihren Niederschlag nicht nur im eifrigen Sammeln und Forschen, sondern auch in der Kartographie.
Sie hatte für die Welthandelsmacht der Niederlande mit ihren kolonialen Besitzungen in Übersee praktischen Nutzwert und war ein Gebiet, auf dem die Republik im 17. Jahrhundert führend war. Willem Jansz Blaeu gab einen Atlas mit über 200 Karten heraus, die nach barockem Zeitgeschmack mit schmückendem Beiwerk versehen waren.
Mächtige Folianten symbolisieren in Gelehrtenportraits des 17. Jahrhunderts das Forschen und Sich-Aneignen von Wissen. Das konnten, im wirtschaftlich boomenden Holland, allerdings auch Geschäfts- oder Steuerbücher sein. Der dargestellte Barend van Lin auf dem Bildnis von Michiel van Musscher verdiente sein Geld als Steuereinnehmer, Kartograph und Landvermesser. Mit einem astronomischen Modell holte er sich den Kosmos in sein Amsterdamer Arbeitszimmer.
Wo verläuft die Grenze zwischen Dokumentation und künstlerischer Phantasie? Landschaftsdarstellungen oder Portraits erweckten den Anschein, eine reale Gegend oder Persönlichkeit wiederzugeben.
In den Niederlanden des 17. Jahrhunderts fanden sich aber nur wenige Gemälde, die ein zuverlässiges Abbild ferner Länder und ihrer Bewohner zeigten. Viele Bilder bestätigten eher bestehende Klischees. Nur vereinzelt setzten Künstler, darunter Rembrandt, sich mit Kunstwerken wie Miniaturen aus Indien oder Persien auseinander.
Wir entdeckten in diesen die geheimsten Besonderheiten der Geschichten, der Lebensweise & der Religion des Landes.
Der Maler Willem Schellinks hatte Indien nie bereist. Aber er konnte nachweislich einige Mogul-Miniaturen im Original studieren, die für gewöhnlich nur selten ihren Weg in die Niederlande fanden. Sie begeisterten ihn und regten ihn zu eigenen, märchenhaft anmutenden Werken wie der Parade der Söhne Shah Jahans auf Komposit–Tieren an. Kein anderer Künstler in den Niederlanden adaptierte die fernöstliche Kunst zu der Zeit so weitgehend wie er.
... so überaus edel, wie der Pinsel eines Künstlers je malen könnte.
Über das Goldene Horn hinweg geht der Blick auf die Landzunge der Serailspitze in Konstantinopel, heute Istanbul. Ob der Maler Hans de Jode jemals selbst an diesem Ort stand, ist nicht bekannt. Für seine Ansicht der Serailspitze mit dem Topkapı-Palast von 1659 konnte er sich ebenso gut auf Kupferstich-Ansichten stützen. Die meisten zeitgenössischen Betrachter des Gemäldes dürften ohnehin nie am Bosporus gewesen sein und konnten die Authentizität der Darstellung nicht überprüfen.
Ob Paläste, Tempel oder der Stall von Bethlehem: In den 1630er Jahren inszenierten Rembrandt und seine Kollegen biblische Themen gern in geheimnisvollen, nur spärlich beleuchteten Bildräumen.
Exotische Turbane, Gewänder oder Schwerter dienten zur Beglaubigung der dargestellten Begebenheiten. Der imaginierte Orient wurde dabei zu einer mystischen Stätte, wo sich dem israelischen Volk die Weisheit Gottes zeigte oder das Wunder des christlichen Heilsgeschehens vollzog. Eine ausgefeilte Lichtführung dramatisierte die Handlung und steigerte die Bedeutung.
In seinem Gemälde Simson, an der Hochzeitstafel das Rätsel aufgebend rückt Rembrandt die junge Braut als Schlüsselfigur hell ins Zentrum der vielköpfigen Festgesellschaft: Sie wird den Gästen des Rätsels Lösung verraten. Die orientalisierende Inszenierung des Bildes empfanden Rembrandts Zeitgenossen als ausgesprochen glaubwürdig.
Einst habe ich von Rembrandt eine Darstellung mit Simsons Hochzeit gesehen (...). Man kann darin sehen, (...) wie die Gäste am Tisch sitzen – oder besser gesagt liegen, denn die Alten benutzten Betten, auf denen sie lagen (...) wie es noch in diesen Ländern unter den Türken gebräuchlich ist.
Der fremdartige Eindruck der dunklen Innenansichten stand im Gegensatz zu den protestantischen Kirchenräumen der calvinistischen Niederlande. Diese waren lichtdurchflutet, weiß gekalkt und ohne Bilderschmuck. Ganz anders zeigen die Bilder Rembrandts und seiner Zeitgenossen eine mystische, exotische Atmosphäre des Wunderbaren. Die Distanz zur alltäglichen Umgebung dürfte die sinnliche Faszination solcher Gemälde verstärkt haben.
Tiefe Schwärze und effektvolles Licht: Auch im graphischen Medium entfaltete Rembrandt sein spannungsreiches Helldunkel. Ohne bunte Farben, allein aus dem Schwarzweiß leben die Darstellungen. Turbane und Tuniken verstärken die geheimnisvoll fremdländische Atmosphäre. Die Architekturkulisse wird oft nur angedeutet. Solche mit der Radiernadel gestochenen Druckgraphiken waren erschwinglicher als Ölgemälde. Ihre zahlreichen Abzüge trugen zu einer größeren Verbreitung und Bekanntheit bei.
Der Orient war für die Niederländer des 17. Jahrhunderts das Andere: ein Abstraktum des Möglichen und eine Projektionsfläche für Bedürfnisse, die im rationalistischen Weltbild des Abendlandes keinen Raum fanden.
Das imaginäre Rollenspiel mit dem Fremden zeigte sich auch in einer neuen Art von Bildtypus. Ende der 1620er Jahre kam die Tronie auf: Diese Portraitstudien stellten zumeist anonyme Personen mit markanten Gesichtszügen in prächtigen Gewändern und oft mit Turban dar.
Im Haus meines Prinzen gibt es ein Portrait {von Jan Lievens} eines sogenannten türkischen Fürsten, das nach dem Kopf des einen oder anderen Niederländers gemalt wurde.
Wie seine Modelle stellte sich Rembrandt auch selbst immer wieder in den unterschiedlichsten Kostümierungen und Rollen dar. Er konnte dazu auf einen großen Fundus von Requisiten, Kopfbedeckungen und sogar Waffen zurückgreifen, die er im Laufe der Jahre gesammelt hatte. Solche Charakterköpfe (Tronies) spielen mit der Ambivalenz von Inszenierung und Wirklichkeit – und schwelgen im Luxus orientalisierender Gewänder. In der üppigen Pracht und der Exotik äußerte sich eine Sehnsucht nach dem Außergewöhnlichen, dem Nichtalltäglichen.