Sonne
Die Sonne ist ein Menschheitsthema: In der Kunst setzen sich die Menschen seit Jahrtausenden mit der lebensspendenden Quelle des Lichts auseinander. In vielen Kulturen galt sie als Gottheit und wurde als Symbol unerschöpflicher Kräfte verehrt. Die Malerei machte die Sonne zum bildbeherrschenden Motiv, ob in mythologischen Szenen oder stimmungsvollen Landschaften. Bis in die Gegenwartskunst bleibt die Sonne ein Phänomen, das fasziniert und zur Auseinandersetzung herausfordert – auch, wenn ihr längst keine mythologischen Bedeutungen mehr zugeschrieben werden.
Ein jeder verehrt das kreisende Rund der Sonne.
Sonne. Die Quelle des Lichts in der Kunst ist die erste umfassende Ausstellung, die europäische Sonnendarstellungen in der Kunst von der Antike bis heute beleuchtet. Dieser Prolog stellt Ihnen die meisterhaften Werke der Potsdamer Ausstellung vor – Skulpturen, Malerei, Grafiken, Fotografie und Installationskunst veranschaulichen epochenübergreifend, wie das Himmelsgestirn auf immer neue Weise erfasst, erforscht und gedeutet wurde.
Die Sonne leuchtet für alle.
Ausgangspunkt der Ausstellung ist Claude Monets Gemälde Impression. Sonnenaufgang von 1872, ein Meisterwerk der impressionistischen Malerei. Die orangeglühende Sonne wird zum Blickpunkt und Kraftzentrum dieser berühmten Momentaufnahme. Das Bild gab dem Impressionismus seinen Namen.
Der Barberini Prolog zur Ausstellung zeigt, wie vielfältig sich das Bild der Sonne seit der Antike wandelte und wie die Darstellung des Himmelskörpers Künstler:innen aller Zeiten herausforderte. Denn in die Sonne blicken kann niemand: Dafür ist sie zu hell.
In der antiken Welt tritt die Sonne als menschliche Gestalt auf: In Griechenland verkörperte zunächst der Gott Helios, später Apollon das leuchtende Gestirn. Von dort aus nahm die Vorstellung des Sonnengottes in Menschengestalt ihren Weg ins Römische Reich. Hier wurde er Sol invictus, unbesiegte Sonne, genannt. Die christliche Epoche übernahm viele Merkmale seiner Darstellung, etwa den Strahlenkranz, und pries Christus als die wahre Sonne.
Helios aber, der niemals versagt, der Unsterblichen Abbild (…)
Da sprüht es und funkelt von glänzenden Strahlen rund um ihn her
Der Sonnengott eignete sich schon früh auch als Sinnbild für Herrscher. Er war der jugendlich schöne Lichtbringer und Garant der Ordnung. Kaiser und Könige wollten von seinem Glanz profitieren. Seine Fahrt im Sonnenwagen sollte auch ihren Triumph strahlend abbilden. Im 17. Jahrhundert wichen die überhöhenden Darstellungen einer diesseitigeren Vorstellung: die Sonne wurde zur Allegorie des Tages.
Schon hebt sich das leuchtende Rossegespann,
Schon strahlt auf die Erde des Helios Schein;
Die Gestirne verscheucht sein himmlisches Glühn in die heilige Nacht.
Die antike Vorstellung vom göttlichen Sonnenwagen inspirierte Künstler über Jahrhunderte bis in die beginnende Moderne. Der Aufritt Apollons wird dabei seit der italienischen Renaissance vielfach als strahlender Triumph des Lichts inszeniert. Effektvoll setzen die Künstler auf raumgreifende Gestik, grelle Farbwirbel und dynamische Kompositionen.
Es ist der Triumph des Lichts über die Finsternis, (…) gleichsam ein freudiges, befreites Gefühl nach Angst und Bangigkeit.
Von Alexander dem Großen bis Kaiser Napoleon: Gern identifizierten sich Herrscher mit der machtvollen Sonne. Bereits aus den frühen Kulturen der Hethiter oder der ägyptischen Pharaonen sind Vergleiche der Regierenden mit dem Sonnengott überliefert. „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. von Frankreich trat bei Veranstaltungen gern als Apollon in entsprechenden Kostümen auf. August der Starke von Sachsen tat es ihm nach. Auch Napoleon nutzte das Motiv der Sonne für seine Machtinszenierung und Bildpropaganda.
Die Sonne geht in meinem Staat nicht unter.
Der antike Mythos überliefert zwei Erzählungen von jugendlicher Selbstüberschätzung, in denen die Sonne eine entscheidende Rolle spielt: die Geschichten vom Sturz des Ikarus und des Phaëton. Während der leichtfertige Jüngling Phaëton als Gottessohn den Lauf der Sonne selbst bestimmen wollte und dramatisch scheiterte, kam der übermütige Ikarus dem heißen Gestirn zu nahe. Auch er stürzte in die Tiefe. Die Sonne war eine göttliche Macht, die nicht herausgefordert werden durfte.
Die Nähe der raffenden Sonne schmelzt das duftende Wachs, das Bindemittel der Federn…
Vom Höhenflug und Absturz des Ikarus berichtet der römische Schriftsteller Ovid. Auch wie es Phaëton erging, hat er in seinem Buch „Metamorphosen“ festgehalten. Phaëton war der Sohn des Sonnengotts Apollon. Er überredete seinen Vater, für einen Tag den Sonnenwagen lenken zu dürfen. Vergeblich schärfte Apollon dem wagemutigen, leichtsinnigen Jüngling ein, den üblichen Pfad nicht zu verlassen und die Zügel straff zu führen. Aber dem unbedarften Phaëton gehen die Pferde durch. Er verliert die Kontrolle. Nur das Eingreifen des obersten Gottes Jupiter verhindert einen kosmischen Weltenbrand.
In der Vorstellungswelt des antiken Griechenlands war die Sonne nicht nur schöpferische Kraft und Symbol des Lebens, sondern auch das sichtbarste Element der kosmischen Ordnung. Diese wies dem menschlichen Handeln bestimmte Grenzen zu; wer sie überschritt, sah sich dem rächenden Walten des Schicksals ausgesetzt.
Mit dem Christentum verändert sich die Vorstellung von der Sonne. Das Alte Testament beschreibt die Sonne als ein von Gott geschaffenes Element der Schöpfung. Ihre Aufgabe ist es, der Welt das Tageslicht und die Jahreszeiten zu bringen: Sie sorgt für die Beleuchtung und für die Zeiteinteilung. Außerdem rühmt das leuchtende Himmelsgestirn die Herrlichkeit Gottes. Christliche Darstellungen der Schöpfungsgeschichte spiegeln diese Auffassung.
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. (…) Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. (…) Und Gott machte zwei große Lichter: ein großes Licht, das den Tag regiere, und ein kleines Licht, das die Nacht regiere, dazu auch die Sterne.
Anders als in der antiken griechischen Vorstellung ist die Sonne im Christentum keine Gottheit mehr. Sie tritt also nicht mehr als eigenständig handelnde Kraft auf. Aber sie übernimmt im Neuen Testament in einem entscheidenden Moment eine wichtige Rolle. Frühe Bilder der Kreuzigung zeigen die Sonne als Zeugen der Handlung am Himmel stehen. Dies soll die kosmische Bedeutung des Geschehens betonen. Bei Christi Tod verfinstert sich die Sonne. Der Evangelist Lukas berichtet davon.
Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und die Sonne verlor ihren Schein.
Aus naturwissenschaftlicher Sicht kann die biblische Schilderung der Kreuzigung im Lukasevangelium nur als Sonnenfinsternis gelesen werden. Die Sonne selbst reagiert hier auf das Leidensgeschehen. Sie beklagt den Tod Christi. Schon mittelalterliche Darstellungen greifen dies auf. Sie zeigen die kosmische Anteilnahme und Zeugenschaft der Sonne.
Ob Astrologie oder Alchemie: Angefangen von den antiken Hochkulturen bis in die Frühe Neuzeit schrieben die Menschen der Sonne eine geheime Wirkmacht zu. In der Sterndeutungslehre der Astrologie zählt sie zu den sieben Planeten: Saturn, Jupiter, Mars, Mercur, Venus , Luna – und eben Sol. Deren Anzahl hatte der antike Gelehrte Aristoteles definiert.
Von der Erde aus sichtbar ändern diese Sterne ihre Position am Himmel regelmäßig. Vom Einfluss dieser Himmelskörper auf die Erdenbewohner erzählt das Konzept der Planetenkinder: Ihre Eigenschaften sollten, so glaubte man, den Charakter der in ihrem Zeichen Geborenen prägen. Die Kinder der Sonne galten als aktiv, musisch und fromm. Ihr Tierkreiszeichen war der Löwe.
In der mittelalterlichen Alchemie war die Suche nach dem Stein der Weisen das höchste Ziel. Das Augenmerk richtete sich dabei auch auf die Herstellung von Gold. Die Alchemisten verbanden dieses wertvollste aller Metalle mit der glänzenden Sonne. Ihr machtvolles Wirken sollte das Gelingen der alchemistischen Bestrebungen befördern.
Die Kraft und der Geist der Sonnen machen lebendig, und das geschieht auf siebenfältige Weise und Wirkung der Sonnenhitze.
Im Tarock-Kartenspiel des 15. Jahrhunderts ist die Sonne einer der Trümpfe. Das Stichkartenblatt kursierte in Europa in zahlreichen Varianten. Mit seinem vielschichtigen Symbolgehalt gilt das Tarock (auch Tarot genannt) Esoterikern als eine ägyptische Geheimlehre. In dieser spirituellen Lesart steht die Trumpfkarte der Sonne für Aktivität, Energie, Lebensfreude und Körperlichkeit. Die Macht des Sonnengestirns kommt in den künstlerisch gestalteten Bildkarten ausdrucksstark zur Anschauung.
Wer seine Wahrnehmung auf die Sonne richtet, tritt mit dem Kosmos in Dialog. Durch die unmittelbar empfundene Wirkung der Sonne begreift sich der einzelne Mensch als Teil des Weltganzen. Diese Beziehung erfassten Künstler:innen bildlich in der Hinwendung zur Sonne. Gesten und Blicke sind dabei kommunikative Handlungen. Mit ihnen antwortet das Individuum auf die fühlbare Energie der Wärme und des Lichts. Dies konnte im christlichen Mittelalter als Vision und Erleuchtung erfahren werden. In der Gegenwartskunst greifen Installationen die ganzheitliche und körperliche Erfahrung der solaren Lichtwirkung auf.
Die Maler der Romantik schufen spirituell aufgeladene Landschaftsgemälde, in denen die Sonne als Kristallisationspunkt für die Präsenz des Göttlichen steht. Die unmittelbare Erfahrung der Sonne in der Natur kann hierbei als Offenbarung des Transzendenten erlebt werden.
Lyrischer Ausdruck der kosmischen Verbundenheit mit dem Weltganzen ist der „Sonnengesang“ des Franz von Assisi. Die hymnische Dichtung aus dem 13. Jahrhundert inspirierte zahlreiche Künstler bis in die Moderne, darunter auch Joan Miró, der den „Cantico di frate Sole“ (Gesang vom Bruder Sonne) in seine abstrahierende Zeichensprache umsetzte.
Der „Sonnengesang“ des Franz von Assisi ist ein klares und einfaches Gedicht. Der 1225 geschriebene Text drückt eine allumfassende Vision der Schöpfung aus. Von allen Wesen nennt Franziskus zuerst den „Bruder Sonne“, bevor er „Schwester Mond“ und danach die vier Elemente – Luft, Wasser, Feuer und Erde – anführt.
Wenn am Morgen die Sonne aufgeht, sollte jeglicher Mensch Gott loben, der sie zu unserem Nutzen geschaffen hat. Denn ihr verdanken wir, daß unsere Augen den hellen Tag sehen.
Dieses Land, ganz kahl, ohne Bäume, voller Steigungen, die uns überall den Horizont und die Sonne zeigen, ist gut geeignet, um mit dem heiligen Franziskus das Lied ‚Mein Bruder, die Sonne‘ zu singen.
Seit jeher wurde die Sonne nicht nur religiös verehrt, sondern war als Himmelskörper auch Gegenstand aufmerksam forschender Beobachtung. Schon in der Antike untersuchten Astronomen ihre Position im Weltall und ihren Einfluss auf die Jahreszeiten. Man erforschte die regelmäßigen Veränderungen im Laufe des Sonnenjahres, wie die Länge der Tage. Aber auch gelegentliche Abweichungen im Erscheinungsbild der Sonne wurden aufmerksam registriert.
do verfinstert sich die So
der Mon erpleichet
Kosmische Phänomene wie Sonnenfinsternisse, Sonnenflecken oder Nebensonnen galten bis ins 16. Jahrhundert als böses Omen oder Wunderzeichen Gottes. Seit dem 19. Jahrhundert ermöglichten verbesserte Teleskope den Astronomen eine genauere Kenntnis des leuchtenden Himmelskörpers. Sie untersuchten nun auch die physikalischen Eigenschaften der Sonne und dokumentierten die Dynamik ihrer Oberfläche. Astronomische Photographien oder Zeichnungen hielten etwa die Eruptionen von Materieströmen auf der Sonne fest.
Die zu wissenschaftlichen Zwecken entstandenen Bilder besitzen oft auch ästhetische Qualitäten. Nie zuvor waren derartige Phänomene für das menschliche Auge sichtbar. Dies gibt den nüchternen Bilddokumenten eine fast magische Anziehungskraft. Im Wettstreit der Medien konkurrierte die neuerfundene Photographie mit präzisen, handgefertigten Aufzeichnungen.
Die Sonne ist die natürliche Quelle des Lichts. Aber ihre gleißende Helligkeit stellt die Malerei vor eine Herausforderung. In der Landschaftsdarstellung gewinnt die Sonne erst ab dem Beginn des 17. Jahrhunderts eine wesentliche Bedeutung.
Zunehmend versuchten die Maler:innen nun, die leuchtend am Himmel stehende Sonne in ihrer natürlichen Erscheinung zu erfassen. In der Natur beobachteten sie die Strahlkraft und die spektakulären Farbeffekte des Sonnenauf- und -untergangs.
Nur in den Momenten des Übergangs zwischen Tag und Nacht ließ sich die Sonne, in ihrer gemilderten Lichtintensität, naturgetreu festhalten. Die Dämmerung brachte zugleich neue künstlerische Möglichkeiten in die idealisierende oder naturalistische Landschaftsmalerei. Der einheitlich warm getönte Bildraum entfaltet in vielen Werken eine emotionale Qualität. Die Sonne wurde so zu einem Ausdrucksträger, der eine besondere atmosphärische Stimmung schafft.
Als Professor für Perspektive an der Royal Academy erforschte William Turner im 19. Jahrhundert die Darstellung von Lichtbrechungen, Reflektionen sowie Luft- und Farbperspektiven. Seine Gemälde zeigen, wie er seine Erkenntnisse umsetzte. Die lichterfüllte Luft verändert die Wahrnehmung des Raums und die Perspektive. Nicht den Ort selbst, sondern dessen Eindruck habe Turner dargestellt, meinte später der Kritiker John Ruskin. Damit erweist sich William Turner als ein Vorläufer der Impressionisten.
Im 19. Jahrhundert erkundeten Maler bei ihren Sonnendarstellungen auch die eigene Wahrnehmung und hielten sie im Bild fest. Eine rasche, skizzenhafte Pinselführung ermöglichte neue, spontane Dimensionen der Wiedergabe. Im Symbolismus wurde das Gestirn über der Landschaft um 1900 zum energiegeladenen Ausdruck des Geistigen.
Brüder, zur Sonne, zur Freiheit, Brüder, zum Lichte empor.
Wer wird heute noch die Sonne anbeten?
In der Malerei nach 1900 wurde der Einsatz der Farbe freier und auch ihre Intensität in Landschaftsgemälden nahm zu. Dies zeigt sich besonders auf Darstellungen der auf- oder untergehenden Sonne. Dieses Motiv eignete sich naturgemäß sehr für übersteigerte Farbeffekte, die das Bild oft komplett beherrschten. Bei der nach 1910 beginnenden Auflösung der Bildgegenstände hin zu abstrakten Darstellungsformen spielten visuelle Erfahrungen des Sonnenlichts und wissenschaftliche Erkenntnisse der Farbphysiologie eine Rolle.
Gefesseltes Licht, wie rufen wir dich? Verborgene Wärme, Seligkeit unseres Daseins, wie rufen wir dich?
Die Expressionisten zeigen die Wirkung der Sonne auf die Natur – und auf sich selbst. Ihre farblich glühenden Landschaftsmotive werden zur Projektionsfläche für die individuelle psychische Verfassung. Im Fokus steht oft die Sonne, als Dialogpartner und Identifikationsobjekt der aufgewühlten Seele. Um die emotionale Wirkung zu steigern, lösten sich die Maler bei der Farbwahl von der natürlichen Erscheinung. Sie folgten eher ihrer künstlerischen Phantasie als einem genauen Naturstudium. Mit freier Pinselführung brachten sie leuchtende Reinfarben auf die Leinwand.
Abstrakte Gemälde seit den 1930er Jahren zeigen die Sonne häufig in Form eines einfachen Kreises. Gerade weil dieses archetypische Zeichen keine Abbildungsfunktion hat, eignete es sich als Symbol für das energetisch aufgeladene Zentrum des Kosmos. Die Pop-Art der 1960er Jahre, die jede spirituelle Bedeutung der Kunst ablehnte, verwendete die Sonne als ironisches, aber ästhetisch effektvolles Zitat.
Ich fühle die Sonnenstrahlen auf meinem Körper.
Ich schmelze aufgelöst im warmen Licht,
ich bin ausgedehnt über die ganze Erde…