Impressionismus
In Paris fanden die jungen Maler Claude Monet, Camille Pissarro, Pierre-Auguste Renoir und Alfred Sisley zusammen. Sie revolutionierten die Kunst mit lichtdurchfluteten Landschaften. 1874 wurden sie als „Impressionisten“ bekannt, die flüchtige Sinneseindrücke in freier Natur malten. Noch immer faszinieren diese Gemälde mit ihrer Konzentration auf den Augenblick.
Auch die neoimpressionistischen Maler Paul Signac und Henri-Edmond Cross zielten in ihren Landschaften auf eine Befreiung der Farbe. Dies blieb im frühen 20. Jahrhundert auch für die farbintensiven Kompositionen der Fauvisten bestimmend. In den Gemälden der Impressionisten, Neoimpressionisten und Fauvisten wird Natur mit Licht und Farbe sinnlich erfahrbar: immer wieder neu und anders.
Mit 114 Gemälden des Impressionismus und Post-Impressionismus zeigt das Museum Barberini die Sammlung des Museumsgründers Hasso Plattner. Die 40 Gemälde Monets bilden den größten Werkkomplex dieses Malers in Europa außerhalb Frankreichs.
In der Präsentation lässt sich die ganze Themenbreite und künstlerische Brisanz des Impressionismus erleben. In diesem Barberini Prolog entdecken Sie drei Generationen von Künstlerinnen und Künstlern: Sie arbeiteten oft zusammen, reisten an die gleichen Orte, inspirierten sich gegenseitig und prägten so eine der faszinierendsten Epochen der modernen Malerei.
Es ist wahr, ich lebe nur durch meine Augen. Von morgens bis abends wandere ich durch Wald und Feld, über Felsen (...) bin auf der Suche nach den reinen Farbtönen (...)
In den Landschaften entlang der Seine entwickelten die Impressionisten ihre Motive. Beim Arbeiten unter freiem Himmel konzentrierten sie sich ganz auf das Hier und Jetzt. Alles Anekdotische früherer Landschaftsmalerei blieb außen vor.
Vielmehr interessierten sich die Maler um Claude Monet für die ständigen Veränderungen von Licht und Wolken und die spiegelnde Wasseroberfläche der Seine. 1865 brachen Pierre-Auguste Renoir und Alfred Sisley erstmals von Paris zu einem Malausflug entlang der Seine bis zur Mündung in Le Havre auf. Die Orte am Fluss wie Argenteuil, Giverny und Moret-sur-Loing verbinden sich bis heute mit dem Impressionismus: Eugène Boudin, Gustave Caillebotte, Alfred Sisley und Paul Signac – sie alle entdeckten die Seine mit neuem Blick.
Die Industrialisierung veränderte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch die Seine.
Hochmoderne Brückenkonstruktionen überspannten den Fluss. Dampfschiffe versorgten die rasant wachsende Hauptstadt Paris. Zugleich entwickelte sich die Seine zum Schauplatz des modernen Segelsports und Ausflugsziel der Städterinnen und Städter. Mit der Eisenbahn fuhren sie zur Erholung hinaus in die Vororte. Diese unterschiedlichen Facetten modernen Lebens hielten die Künstler wie selbstverständlich in ihren Landschaften fest.
Für Malausflüge in die nähere und weitere Umgebung nutzten die Künstler das rasant wachsende Schienennetz. Technische Neuerungen wie fertig abgemischte Tubenfarben und tragbare Staffeleien machten das Malen im Freien erst praktikabel.
Die Impressionisten beobachteten das Leben auf den Boulevards, in den Kaffeehäusern und Parks. Sie erlebten mit, wie Paris sich durch gewaltige Umbaumaßnahmen seit den 1850er Jahren rasant veränderte.
Die Stadt wurde nach Plänen von Baron Haussmann zur weltweit fortschrittlichsten Metropole: mit breiten Boulevards und Schneisen für den wachsenden Verkehr, mit neuen Grünanlagen, riesigen Markthallen, Bahnhöfen und Theatern. Die Künstler fanden hier neue, urbane Motive: als Maler des modernen Lebens.
In Paris organisierten Claude Monet, Pierre-Auguste Renoir, Alfred Sisley und ihre Freunde 1874 die erste Impressionismus-Ausstellung. Kurz darauf schlossen sich Berthe Morisot, Paul Cézanne und Gustave Caillebotte der neuen Bewegung an. Aus der ganzen Welt kamen Künstler nach Paris, um Anschluss an die Moderne zu finden.
Die Einwohnerzahl von Paris verdoppelte sich von 1850 bis 1870 auf zwei Millionen.
Neue Straßenzüge führten in die Peripherie. Die Vororte wuchsen, weil Angestellte und Handwerker den steigenden Mieten im Zentrum auswichen. Erholungssuchende Pariser und Pariserinnen erreichten mit der Eisenbahn in nur wenigen Stunden die Küste der Normandie. Die mondänen Seebäder zogen auch die Künstler des Impressionismus und ihre Sammler an.
Neben der „Haussmannisierung“ von Paris übte auch die moderne Freizeitidylle in der Normandie auf die Impressionisten eine besondere Faszination aus.
Gustave Caillebotte etwa mietete sich im Sommer gerne in Trouville an der Küste der Normandie ein. Der Ort mit seinen Luxushotels, Casinos und Villen war ein beliebtes Ausflugsziel für wohlhabende Gäste aus Paris.
Unscheinbar wirken die Motive der Impressionisten. Kornfelder, Pappelreihen, Feldwege, Wiesen und Getreideschober fingen die Maler rund um ihre Wohnorte ein. Diese französischen Landschaften ohne nostalgische Klischees sprachen das Pariser Publikum an. Lebendig werden die neuartigen Naturausschnitte durch eine bewegte Pinselführung.
Mit ihrer unverfälschten Frische und Authentizität laden die damals neuartigen Naturausschnitte heute noch dazu ein, Licht und Luft, Tages- und Jahreszeiten mit allen Sinnen nachzuempfinden. So offen die locker wirkende Malweise auch ist: die Künstler gaben Topographie der Landschaft exakt wieder.
Auf den Spuren der Künstler von Barbizon unternahmen Claude Monet, Alfred Sisley und Pierre-Auguste Renoir ab 1862 Malausflüge in den Wald von Fontainebleau bei Paris.
Direkt vor dem Motiv arbeiteten sie an der Auflösung der Formen und einer neuen, bildraumfüllenden Luftigkeit. Die Maler erfassten dabei atmosphärische Erscheinungen, wie sie die Wissenschaft im 19. Jahrhundert erforschte. Es entstand keine willkürliche Stimmungsmalerei, sondern ein Protokoll unmittelbaren Erlebens: jeder Pinselstrich eine Information.
Die Städter sahen das ländliche Frankreich mit anderen Augen als die Bauern. Während Camille Pissarro die Landbevölkerung selbst in den Blick nahm, zeigte Armand Guillaumin, wie Monet, die auffallenden Getreideschober als sichtbare Spuren bäuerlicher Arbeit.
Für mich existiert eine Landschaft nicht an und für sich, weil ihre Erscheinung sich jeden Moment verändert; sie lebt durch das, was sie umhüllt – durch die Luft und das Licht, die ständig wechseln.
Die Küsten der Bretagne und Normandie gewannen im 19. Jahrhundert an wirtschaftlicher Bedeutung. Die Häfen erlebten einen Modernisierungschub. Mit Überseehandel nach Amerika war Le Havre der zweitgrößte französische Hafen. Hier startete Claude Monet seine ersten Malkampagnen.
Eugène Boudin war ein Pionier der Pleinairmalerei, die er dem jungen Claude Monet nahebrachte. Gerade an der Küste mit dem schnellen Wechsel von Sonne und Wolken konnten die Freilichtmaler ihre rasche Auffassungsgabe schulen.
Was man im Freien malt, hat stets eine Kraft, Frische und Lebendigkeit des Pinselstrichs, die man im Atelier nicht erreicht.
Die Künstler ließen sich von Vorbildern der Alten Meister anregen. Zugleich arbeiteten sie die Modernität der Hafenstädte heraus und beobachteten, wie die künstliche Beleuchtung und der neue Takt des Warenumschlags die traditionellen Hafenorte veränderte.
In London hatte Claude Monet den größten Hafen der Welt gesehen. Kurz nach seiner Rückkehr schuf er 1872 in Le Havre sein skizzenhaftes Gemälde Impression, Sonnenaufgang (Musée Marmottan Monet, Paris), das heute als Schlüsselwerk gilt und auf der ersten Impressionisten-Ausstellung 1874 Aufmerksamkeit erregte. Als Pendant dazu malte Monet eine Nachtszene. Sie zeigt den Industriehafen mit künstlicher Gasbeleuchtung in radikal flüchtiger Pinselführung.
Berthe Morisot zählte als einzige Frau von Anfang an zum Kreis der Impressionisten. In London hatte sie, wie Claude Monet, nicht nur die britischen Docks, sondern auch die atmosphärischen Themse-Ansichten William Turners kennengelernt.
Die Themse ist wirklich schön (...) das Ganze gebadet in einem goldenen Dunst.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Gartenkultur zum leidenschaftlichen Hobby der Bildungsbürger. Auch das Interesse an exotischen Pflanzen nahm zu. Die Künstler um Claude Monet pflegten ihre Vorliebe für das Wandelbare gern im eigenen Garten.
Die Impressionisten verfolgten mit diesem neuen Thema den Wechsel von Tages- und Jahreszeiten. Der heimische Garten als Freilicht-Atelier hatte auch den Vorteil kurzer Wege zum gewählten Motiv. Im Zusammenspiel des Innen- und Außenraums verkörpern die Gartenbilder das harmonische Leben des Menschen in der Natur.
Ähnlich wie der passionierte Gärtner Monet in Giverny und Caillebotte in Le Petit-Gennevilliers fand der Maler Henri Le Sidaner in dem mittelalterlichen Dorf Gerberoy einen paradiesischen Rückzugsort. Um das Landgut herum legte er einen Blumengarten im englischen Stil an. Es wurde seine wichtigste Malkulisse.
Duftende Blumen und reife Früchte, vielfach aus dem eigenen Garten, regten die Maler zu impressionistischen Stillleben an. Sie gewannen dem traditionsreichen Motiv der Alten Meister mit ihrer offenen, experimentierfreudigen Malweise völlig neue Seiten ab.
Die Winter der 1860er bis 1890er Jahre waren besonders schneereich. Die Künstler setzten sich der eisigen Kälte aus und trotzten den erschwerten Bedingungen. Es interessierte sie, die optischen Phänomene der Lichtbrechung auf den Schnee-Kristallen festzuhalten.
Die weiße Schneedecke verfremdet die vertraute Landschaft. Die Maler setzten die Reflexionen auf dem Schnee in abstrakt anmutende Kompositionen um. Ihre athmosphärisch dichten Darstellungen verschränken Himmel und Erde.
Monet schuf von allen Impressionisten die meisten Winterbilder, rund 140 insgesamt. Seine Vorliebe war inspiriert von Darstellungen auf japanischen Farbholzschnitten, die der Künstler begeistert sammelte.
Renoir betonte, man solle Schnee nie in reinem Weiß malen. Denn die Schneedecke spiegele alle Farben der Umgebung. In den Winterbildern von Alfred Sisley fallen die starken farbigen Schatten auf. Er widmete sich mit Vorliebe der Darstellung von Himmel und Wasser im Wandel der Jahreszeiten.
Es ist wichtig, dass die Gegenstände (...) von Licht umflutet dargestellt werden (...). Der Himmel (...) erinnert uns an die Wellenbewegung des Meeres, begeistert uns und zieht uns mit sich fort (...). Ich beginne bei jedem Gemälde mit dem Himmel.
Monets Generation fuhr nicht mehr nach Italien, um die Antike zu studieren. Die Beobachtung der heimischen Natur hatte die klassische Landschaftsmalerei abgelöst. Mit der Eisenbahn erkundeten die Künstler wie andere Touristen die Küsten Nord- und Südeuropas. Sie malten an der Côte d‘Azur, in Venedig und Saint-Tropez, an den Steilküsten der Bretagne oder der italienischen Riviera.
Die Küstenlandschaften Europas wurden im späten 19. Jahrhundert zunehmend vom modernen Tourismus erschlossen und mit Postkarten vermarktet. Die Maler stellten sich dieser Konkurrenz, indem sie mit den Ausschnitttechniken der Photographie arbeiteten. Ihre pastose Malerei stand im Gegensatz zu den glatten Oberflächen des neuen Bildmediums.
In der Nachfolge Monets reisten viele Maler ans Mittelmeer.
Paul Signac und Henri-Edmond Cross ließen sich in den 1890er dort nieder und entwickelten den Pointillismus an der Côte d’Azur weiter. Im Licht des Südens schufen sie nahezu paradieshafte Landschaften. Darin schwingt ihr Ideal eines friedlichen Zusammenlebens in unberührter Natur mit.
Der Neoimpressionismus verbürgt (...) durch die alleinige Anwendung der optischen Mischung reiner Farben, durch systematische Zerlegung der Farbe und das Beobachten der wissenschaftlichen Farbentheorie – ein Höchstes an Leuchtkraft, an Farbe und Harmonie (...)
Monets intensive Beschäftigung mit dem Wechsel von Tages- und Jahreszeiten führte ihn zu einem völlig neuen künstlerischen Konzept. Er verfolgte die Idee, durch Wiederholungen eines Motivs dem Erfassen des Augenblicks näherzukommen.
Der Künstler begann damit, nachdem er Paris Ende 1870er Jahre den Rücken gekehrt und sich auf dem Land niedergelassen hatte. Insbesondere die Umgebung von Giverny und sein eigener Seerosengarten boten Monet perfekte Bedingungen für sein Arbeiten in Serie.
Monets erste Serie überhaupt umfasst 25 Gemälde von Getreideschobern. Er stellte sie systematisch bei unterschiedlichen Licht- und Witterungsverhältnissen dar.
Ab 1891 präsentierte der Künstler in seiner Pariser Galerie Durand-Ruel groß angelegte Werkreihen, bei denen er ein einziges Motiv in zahlreichen Variationen durchspielte. Drei dieser berühmten Werkgruppen sind in der Sammlung Hasso Plattner beispielhaft vertreten. Auf Monets Getreideschober folgte die Serie zur Kathedrale von Rouen, später zum britischen Parlament in London und schließlich zu seinem Seerosenteich in Giverny.
Ich habe lange gebraucht, um meine Seerosen zu verstehen. Ich (...) hatte sie angelegt, ohne daran zu denken, sie zu malen. Und dann, auf einmal (...) habe zur Palette gegriffen (...) Seit dieser Zeit hatte ich kaum ein anderes Motiv.
In London interessierte sich Monet für das Zusammenspiel von leuchtenden Wasserflächen und imposanten architektonischen Gebilden. Die Silhouette des Westminster Palace im Smog bei untergehender Sonne beschäftigte den Maler bei drei London-Aufenthalten zwischen 1899 und 1901.
1905 kam in Frankreich eine radikal neue Kunstrichtung auf. Die Werke fielen durch grelle, expressive Farben und betonte Konturen auf. Als „Les Fauves“ (die Wilden) bezeichnete ein Kunstkritiker diese Maler bei ihrer ersten Ausstellung im Pariser Herbstsalon. André Derain, Maurice de Vlaminck und Auguste Herbin gehörten dazu.
Die Fauvisten lösten sich von der impressionistischen und pointillistischen Malweise. Es ging ihnen nicht mehr um die Wiedergabe von flüchtigen Naturphänomenen, sondern um den reinen Ausdruckswert der Farbe – ein radikaler Schritt in Richtung Abstraktion.
Ihr betont ausdrucksstarker, emotional aufgeladener und farbkräftiger Malstil hielt die Fauvisten jedoch nicht davon ab, an die Motive der Impressionisten und Pointillisten anzuknüpfen. André Derain folgte den Spuren von Cross und Signac in Südfrankreich, Maurice de Vlaminck malte in Bougival – einem Ort an der Seine, wo schon Renoir und Monet in den 1860er Jahren ihre Motive wählten.
Vlaminck war der einzige Künstler unter den Fauvisten, dem es gefiel, als „Wilder“ bezeichnet zu werden. Bewusst wollte er hergebrachte Konventionen zerstören. Seine heftige Malerei verrät gleichwohl den Einfluss von Cézanne. Die drei Künstler-Generationen der Impressionisten, Pointillisten und Fauvisten verband das gleiche Ideal: die Natur durch Farbe und Licht sinnlich erfahrbar zu machen.