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Kosmos Kandinsky
Geometrische Abstraktion: Sind das bloß Quadrate und Kreise, Punkte und Linien ohne Sinn und Aussage? Ein unpersönlicher Dekor, eine monotone Kästchenkunst? Auf keinen Fall! Wer sich mit der Geschichte dieser Art der künstlerischen Gestaltung beschäftigt, wird schnell feststellen, wie facettenreich die Aussagen dieser vermeintlich immergleichen Formen sind, und wie viel sie uns über die Zeit ihrer Entstehung erzählen.

Piet Mondrian: Komposition mit Gelb, 1930, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
Das Quadrat ist eine der zentralen Grundformen ...

Verena Loewensberg: Ohne Titel, 1965, Privatsammlung, Schweiz; Courtesy Henriette Coray Loewensberg, Verena Loewensberg Stiftung, Zürich
Photo: Philipp Hitz
... , an der sich die abstrakten Künstler über Generationen hinweg abgearbeitet haben.
Der Beginn der geometrischen Abstraktion im frühen 20. Jahrhundert fiel zusammen mit dem Aufbruch zur Moderne. Die neue Epoche, die von technischem Fortschritt und wissenschaftlichen Entdeckungen geprägt war, verlangte nach einer Kunst, die sich nicht mehr auf die Beschreibung der sichtbaren Welt beschränkte. Photographie und Film hatten die Aufgabe der mimetischen Wiedergabe übernommen – die Kunst war frei, neue Wege zu gehen. Zwar existierten abstrakte Muster in zahllosen Kulturen bereits seit Jahrtausenden, doch erst um 1910 entdeckten Künstler und Künstlerinnen die geometrische Form als autonomen Bildgegenstand. Die Abstraktion war für sie eine Möglichkeit, sich auch die immateriellen Welten und spirituellen Vorstellungen künstlerisch anzueignen.

Richard Anuszkiewicz: Metamorphose von Kadmiumrot – Blaue Linie, 1979, Nachlass Richard Anuszkiewicz, VG-Bild Kunst, Bonn 2025
Photo: The Loretta Howard Gallery
Auch er nutzte das Quadrat als geometrisches Rahmenwerk: Richard Anuskiewicz, ein Schüler des Bauhaus-Meisters Josef Albers.
Kandinsky – Vordenker und Vermittler der Abstraktion
Ein Pionier der Abstraktion war der 1866 in Moskau geborene Wassily Kandinsky. Im Bayerischen Murnau hatte er mit seiner expressiven Malerei die Farbe befreit, bevor er 1913 dazu überging, ganz abstrakt zu arbeiten. Seine frühen „Impressionen“, „Improvisationen“ und „Kompositionen“ aus biomorphen Gebilden waren von der modernen Musik inspiriert. Auch in seinen theoretischen Überlegungen beschäftigte sich der Synästhetiker mit der Wirkung von gegenstandslosen Formen und Farben. 1911 erschien seine wegweisende Schrift Über das Geistige in der Kunst. Als Vermittler gab Kandinsky seine Einsichten in Moskau, am Bauhaus in Weimar und schließlich in Paris an die nächste Generation. Gleichzeitig war er offen für neue Einflüsse und entwickelte seine persönliche Abstraktion bis zu seinem Tod 1944 stetig weiter.
Die Form selbst, wenn sie auch ganz abstrakt ist und einer geometrischen gleicht, hat ihren inneren Klang, ist ein geistiges Wesen mit Eigenschaften, die mit dieser Form identisch sind.

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Ljubow Popowa: Raum-Kraft-Konstruktion, 1920/21, MOMus - Museum of Modern Art - Costakis Collection, Thessaloniki
Zu Beginn traf die geometrische Abstraktion nicht selten auf Ablehnung. Im Winter 1915 schockierte ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund die Besucher einer Ausstellung in St. Petersburg. Gemalt hatte es der aus Kyjiw stammende Kasimir Malewitsch. Das Bild war eine Tabula Rasa, ein Ende und gleichzeitig Neubeginn für die Malerei. Den Horizont und das Blau des Himmels hatte Malewitsch durch einen hellen Bildgrund ersetzt, vor dem die einfachen geometrischen Formen zu schweben scheinen. Suprematismus, vom Lateinischen Supremus – das Höchste – nannte er selbstbewusst diese radikale Kunst, die den Menschen zu neuen Erkenntnissen führen sollte.

Ausstellungsansicht von 0,10 – Die letzte futuristische Ausstellung der Malerei, St. Petersburg 1916
Die Photographie zeigt die suprematistischen Werke, die Malewitsch 1915 in St. Petersburg präsentierte. Das Schwarze Quadrat auf weißem Grund war in der oberen Raumecke angebracht – der Ort, der in orthodoxen Haushalten der Ikone vorbehalten war.
In meinem verzweifelten Bemühen, die Kunst vom Ballast der gegenständlichen Welt zu befreien, floh ich zur Form des Quadrats.
1917 beendete die Oktoberrevolution die Ära der Zarenherrschaft. Die Bolschewiki unter der Führung Lenins beriefen Malewitsch und andere Avantgardisten auf Posten in den neugegründeten staatlichen Kulturinstitutionen. Der Aufbruch war allgegenwärtig. Malewitschs Anhänger nannten sich „Verfechter der neuen Kunst“.

El Lissitzky: Ohne Titel, 1919/20, Peggy Guggenheim Collection, Venedig (Solomon R. Guggenheim Foundation, New York)
Lasar Lissitzky, genannt El Lissitzky, studierte Architektur, bevor er sich als Künstler dem Suprematismus und Konstruktivismus widmete.
In diesem Umfeld entstand auch der Konstruktivismus. Treibende Kraft war Alexander Rodtschenko, der seine Kunst wie eine Wissenschaft betrieb. In Serien untersuchte er die Einsatzmöglichkeiten der Linie oder die Ausdehnung von Farben. Der Konstruktivismus nutzte Begriffe aus dem Ingenieurwesen und der Wissenschaft. Die Komposition wurde durch die Konstruktion als Prinzip der künstlerischen Gestaltung ersetzt und subjektive Schöpfungen durch kollektive Produktion. Damit wollten die Konstruktivisten zur Formung der neuen, sozialistischen Gesellschaft beitragen.

Alexander Rodtschenko: Lineismus, 1920, MOMus - Museum of Modern Art - Costakis Collection, Thessaloniki, VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Das Werk Lineismus war das Ergebnis einer systematischen Erforschung der einzelnen Elemente der Malerei – hier der Funktionen der Linie.

Ljubow Popowa; Malerische Architektonik, 1918/19, MOMus - Museum of Modern Art - Costakis Collection, Thessaloniki
Die Annäherung an die Abstraktion verlief bei Ljubow Popowa über den Kubismus, den sie aus ihrer Studienzeit in Paris kannte.
Kandinsky im Kommunismus
Die theoretischen Grundlagen des Konstruktivismus waren am Institut für Künstlerische Kultur, dem INChUK, entwickelt worden, das bis Anfang 1921 von Wassily Kandinsky geleitet wurde. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs musste der Russe, der seit 1896 in Bayern gelebt hatte, das Deutsche Kaiserreich verlassen. Zurück in Moskau integrierte Kandinsky Elemente der aktuellen Kunstströmungen: Seine organische, von Chiffren durchzogene Abstraktion bereicherte er um geometrische Formen aus dem Repertoire der Suprematisten und Konstruktivisten. Doch die ideologischen Diskussionen am INChUK und der Drang zur Objektivierung der Kunst widerstrebten Kandinsky. Ende 1921 kehrte er nach Deutschland zurück.

Ilya Chashnik: Suprematistisches Kreuz, 1923, MOMus - Museum of Modern Art - Costakis Collection, Thessaloniki
Zu Ilja Tschaschniks Lehrern gehörte neben El Lissitzky auch Kasimir Malewitsch, dessen studentischer Mitarbeiter er von 1923-26 war.

Wassily Kandinsky: Weißes Kreuz, 1922, Peggy Guggenheim Collection, Venedig (Solomon R. Guggenheim Foundation, New York)
In Wassily Kandinskys Bild Weißes Kreuz verweisen der Einsatz von Schwarz und Weiß sowie die Verwendung von Grundformen auf den Suprematismus von Kasimir Malewitsch.


László Moholy-Nagy: Komposition Z VIII, 1924
Staatliche Museen zu Berlin — Neue Nationalgalerie
1922 ging Kandinsky als Lehrer ans Bauhaus. Walter Gropius hatte die Schule, an der freie und angewandte Kunst gleichwertig behandelt wurden, 1919 in Weimar begründet. Neben Klassen für Photographie und Architektur gab es Werkstätten für Glasmalerei, Weberei oder Keramik. Das Bauhaus wurde schnell zum Anziehungspunkt moderner Künstler weit über die Grenzen der Weimarer Republik hinaus. Zu den Lehrenden – auch Meister genannt – gehörten der Ungar László Moholy-Nagy und der Schweizer Johannes Itten.

Johannes Itten: Stäbe und Flächen, 1955, Mercedes-Benz Art Collection © Andreas Freytag, Stuttgart, VG Bild-Kunst, 2025
Während seiner Tätigkeit am Bauhaus in Weimar entwickelte Johannes Itten die Grundlagen seiner Farbtheorie.
Der Punkt ist eine kleine Welt – von allen Seiten mehr oder weniger gleichmäßig abgetrennt und fast aus der Umgebung herausgerissen. [...] Nur die konzentrische Spannung offenbart seine innere Verwandtschaft mit dem Kreis – die anderen Eigenschaften deuten mehr auf das Quadrat.

Wassily Kandinsky: Betonte Ecken, 1923, Nahmad Collection
Kandinsky war der Ansicht, Farben seien aufgrund ihres inneren „Klangs“ dazu veranlagt, bestimmte Formen anzunehmen: Gelb korreliere mit spitzem Winkel und Dreieck, Rot mit rechtem Winkel und Viereck, Blau mit stumpfem Winkel und Kreis.
Der schnörkellose Stil vom Bauhaus, der von Funktionalität bestimmt war, fand Widerhall in der Abstraktion Kandinskys. Seine Werke aus den 1920er Jahren wirken beherrschter, strukturierter. In die Zeit am Bauhaus fällt auch die Veröffentlichung seiner zweiten programmatischen Schrift: 1926 erschien Punkt und Linie zu Fläche, das sich mit den Grundelementen der Kunst beschäftigt.
Die geometrische Linie ist [...] die Spur des sich bewegenden Punktes, also sein Erzeugnis. Sie ist aus der Bewegung entstanden – und zwar durch Vernichtung der höchsten in sich geschlossenen Ruhe des Punktes. Hier wird der Sprung aus dem Statischen in das Dynamische gemacht.
Abstraktion unter Druck
1925 war das Bauhaus nach Dessau gezogen. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten stand die progressive Kunstschule allerdings zunehmend unter Druck. Nach einem Zwischenspiel in Berlin wurde sie 1933 endgültig geschlossen. Wie in der Sowjetunion, wo sie mittlerweile als formalistisch abgelehnt wurde, geriet die abstrakte Kunst auch im totalitären NS-Deutschland ins Visier der Kulturpolitik. Der Höhepunkt der Verfemung war die Schmäh-Schau „Entartete Kunst“, auf der 1937 auch abstrakte Werke von Kandinsky gezeigt wurden. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich Kandinsky, der noch 1928 die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hatte, bereits in Frankreich auf.

Ausstellung „Entartete Kunst“, Photographie von Erich Andres, München 1937, © Staatsarchiv Hamburg, Photo: Erich Andres, 720-1/343-1/A24_56_10
1937 fand in den Münchner Hofgarten-Arkaden eine Propagandaschau mit über 600 Werken statt, die vom NS-Regime als „entartet“ diffamiert wurden. Darunter befanden sich auch abstrakte Arbeiten von Kandinsky. Auf der sogenannten „Dada-Wand“ hatten die Organisatoren zudem ein Bild aufgemalt, das sich an Kandinskys Gemälde Schwarzer Fleck von 1921 anlehnte.

Die erzwungene Schließung war nicht das endgültige Aus für das Bauhaus. Ehemalige „Bauhäusler“ verbreiteten die Ideen und Ästhetik in aller Welt. Josef Albers etwa ging in die USA und vermittelte am Black Mountain College seine Erkenntnisse zur Wahrnehmung der Farben anhand des Quadrats. Und in der Schweiz gehörte Max Bill, ein ehemaliger Schüler von Kandinsky, zu den Mitbegründern der Zürcher Schule der Konkreten. Sie forderten eine Kunst, die ganz ohne Bezüge auf die materielle oder spirituelle Welt auskommt.
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Josef Albers: Studie für Huldigung an das Quadrat, 1965, Josef Albers Museum Quadrat Bottrop © VG Bild-Kunst, Bonn 2025
konkrete kunst nennen wir jene kunstwerke, die aufgrund ihrer ureigenen mittel und gesetzmässigkeiten – ohne äusserliche anlehnung an naturerscheinungen oder deren transformierung, also nicht durch abstraktion – entstanden sind. konkrete kunst ist in ihrer eigenart selbständig. sie ist der ausdruck des menschlichen geistes, für den menschlichen geist bestimmt [...]. konkrete malerei und plastik ist die gestaltung von optisch wahrnehmbarem. ihre gestaltungsmittel sind die farben, der raum, das licht und die bewegung

Max Bill: Reflexe aus dunkel und hell (Reflections from dark and light), 1975, Dr. Angela Thomas, Haus Bill, Zumikon, Schweiz. www.maxbill.ch © VG Bild-Kunst, Bonn 2025, Photo: Hauser & Wirth
Der Schweizer Gestalter und Architekt Max Bill hatte von 1927 bis 1928 am Bauhaus studiert und an den „freien Malklassen“ von Kandinsky teilgenommen. Bill bezeichnete ihn rückblickend als seinen wichtigsten Lehrer.

Richard Paul Lohse: Dreißig vertikale systematische Farbreihen in gelber Rautenform, 1943/1970, Richard Paul Lohse-Stiftung
Richard Paul Lohse war bemüht, nach einer durchgehenden Logik zu arbeiten und diese transparent zu machen. Sein serielles Vorgehen, bei dem er jeder Farbe den gleichen Raum zugestand und sicherstellte, dass sich in keiner Spalte oder Zeile eine Farbe wiederholt, war auch der Versuch, Vorstellungen von gesellschaftlicher Gleichberechtigung und ein „radikales Demokratieprinzip" modellhaft zu visualisieren.

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Auguste Herbin: Gut, 1952, Fondation Gandur pour l’Art, Genève © VG Bild-Kunst, Bonn 2025, Photo: Sandra Pointet
Kandinsky war 1933 nach Neuilly-sur-Seine in die Nähe von Paris emigriert. Noch immer war die Kapitale der Moderne ein Sehnsuchtsort für Künstler. Zu ihnen gehörte auch der Niederländer Piet Mondrian, der bereits seit 1912 mit Unterbrechungen in Paris lebte. 1917 hatte er mit Theo van Doesburg die Gruppe De Stijl gegründet. Sie proklamierten eine gegenstandlose Kunst, die auf horizontalen und vertikalen Rastern und Rechtecken in den Grundfarben beruht. Der puristische Stil, der bald auch fürs Design übernommen wurde, traf den Nerv der Zeit und wurde international stark rezipiert: Die Britin Marlow Moss oder der Franzose Jean Gorin sind nur einige der Anhänger des Neo-Plastizismus, wie Mondrian seine Abstraktion nannte.

Piet Mondrian: Komposition mit Gelb und Blau, 1932, Fondation Beyeler, Riehen/Basel, Sammlung Beyeler, erworben mit grosszügiger Unterstützung von Hartmann P. Und Cécile Koechlin-Tanner, Riehen
Piet Mondrian hatte sich intensiv mit Goethes Farbenlehre von 1810 beschäftigt. Blau und Gelb kommt darin eine besondere Rolle zu, denn sie stehen laut Goethe für das fundamentale Prinzip von Dunkelheit und Licht.
Was will ich mit meinem Werk ausdrücken? Nichts anderes als das, was jeder andere Künstler sucht: Harmonie durch das Gleichgewicht der Beziehungen zwischen Linien, Farben und Flächen zu erreichen. Aber nur auf die klarste und stärkste Weise.
César Domela gehörte zur zweiten Generation abstrakt-geometrischer Künstler, die sich im Paris der 1920er und 30er Jahre um Mondrian scharten.
Piet Mondrians Neoplastizismus fand auch in den USA Gefolgsleute, darunter Burgoyne Diller.
Auch der Künstler Fritz Glarner, der 1933 der Gruppe Abstraction-Creation beitrat, pflegte einen intensiven Gedenkenaustausch mit Mondrian.
Mitte der 1920er Jahre hatte sich Mondrian nach Diskussionen über den Einsatz von diagonalen Linien von der De Stijl Gruppe distanziert. Sein Pariser Atelier, dessen Wände wie Mondrians Gemälde mit Rechtecken in den Primärfarben überzogen war, blieb dennoch ein Anlaufpunkt für junge Künstler. Für den jungen Amerikaner Alexander Calder war der Besuch bei Mondrian ein Wendepunkt: Nun begann er, selbst abstrakt zu arbeiten. In den frühen 1930er Jahren gestaltete Calder seine ersten Mobiles.

Alexander Calder: Ohne Titel, 1963, Fondation Gandur pour l’Art, Genève 2025 © Calder Foundation, New York/Artists Rights Society (ARS), New York
Eine ganz eigene Form der abstrakten Kunst entwickelte Alexander Calder: Mit ihm lernten die geometrischen und amorphen Formen das Fliegen.

Sophie Taeuber-Arp: Zwölf Räume mit Flächen, eckigen Bändern und mit Kreisen gepflastert, 1939, Kunsthaus Zürich, Geschenk Hans Arp, 1958
Sophie Taeuber-Arp hatte eine kunstgewerbliche Ausbildung erhalten, setzte sich jedoch schon früh über die rigide Trennung von angewandter und freier Kunst hinweg. Ihre abstrakte Malerei profitierte von den dekorativen Mustern ihrer Webteppiche und dem Formenrepertoire der Textilkunst.
1931 war in Paris die Gruppe Abstraction-Création gegründet worden, die unterschiedliche Wege der gegenstandslosen Kunst vereinte. Ihre internationalen Mitglieder wollten mit Ausstellungen und Publikationen eine Plattform für die abstrakte Kunst schaffen. Damit setzten sie auch ein Signal gegen den allgegenwärtigen Surrealismus. Allerdings waren die Grenzen zwischen den figürlichen Fantasien der Surrealisten und der rein abstrakten Bildsprache durchlässig. Kandinsky etwa spielte mit assoziativen Elemente des Surrealismus.

Wassily Kandinsky: Mitte mit Begleitung, 1937, Nahmad Collection
Mitte mit Begleitung ist ein Hauptwerk aus Kandinskys Pariser Jahren – und trotzt mit seiner Heiterkeit den düsteren politischen Umständen der Zeit.

Konstruktivistische Utopien in der britischen Kunst
Der Beginn des Zweiten Weltkriegs veränderte die Landkarte der Abstraktion erneut. Während Kandinsky auch nach der Besetzung durch die Deutsche Wehrmacht 1940 in Paris ausharrte, sahen sich zahlreiche moderne Künstler gezwungen, – erneut – zu emigrieren. Einige machten Station in London, wo Barbara Hepworth und Ben Nicholson mit abstrakten räumlichen Arbeiten experimentierten. Die britischen Konstruktivisten der Nachkriegszeit, auch Constructionists genannt, entdeckten das Relief als Ausdrucksform. Ihre reduzierte Abstraktion beruht auf mathematischen – und damit universellen – Prinzipien.

Barbara Hepworth: Konoid, Kugel und Hohlraum III, 1937, UK Government Art Collection © Barbara Hepworth, Bowness
Barbara Hepworths Schaffen, geprägt von der hitzigen Atmosphäre der 1930er Jahre, schlug eine Brücke über Generationen hinweg zu den Constructionists der 1950er Jahre.
Ich denke, dass abstrakte Kunst nicht etwa eine beschränkte Ausdrucksweise ist, nur von wenigen verstanden, sondern stattdessen eine machtvolle, unbegrenzte und universelle Sprache darstellt.

Mary Martin: Weißflächiges Relief, 1959, Sainsbury Centre, University of East Anglia © Paul Martin
Zu einem beliebten Versuchsfeld der britischen Konstruktivisten wurde das Relief aus natürlichen oder industriell gefertigten Materialien wie Plexiglas und Aluminium. Auch Mary Martin erprobte ihre Abstraktion seit den frühen 1950er Jahren in Flachreliefs.

Anthony Hill: Fortschreiten der Rechtecke, Version II, 1954-1959, Sainsbury Centre, University of East Anglia; Vermächtnis Joyce und Michael Morris, 2014 © VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Den meisten der Reliefs von Anthony Hill liegen mathematische Strukturen zu Grunde. Die Disziplin faszinierte ihn sein Leben lang, und 1979 wurde er Mitglied der London Mathematical Society.


Miriam Shapiro: Puzzle, 1969, Whitney Museum of American Art, New York; Ankauf mit Mitteln von Mr. and Mrs. Harry Kahn © VG Bild-Kunst, Bonn 2025, Photo: 2025 Digital image, Whitney Museum of American Art/Scala, Florence
In der Nachkriegszeit begann der Aufstieg der USA zum Motor der Kunstwelt. Nachdem zunächst der Abstrakte Expressionismus mit seinem gestischen Ausdruck und der körperlichen Machart die Szene dominiert hatte, folgte in den 1960er Jahren eine Rückkehr zur klaren Form. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten wurde auch die abstrakte Malerei wortwörtlich von ihren Grenzen befreit: Die Formate wurden ins Monumentale gesteigert und die jahrhundertealte Logik des rechteckigen Malgrunds aufgegeben. Ellsworth Kelly und Frank Stella fertigten Shaped Canvases, also Leinwände mit runden oder mehreckigen Rändern. Die populäre Hard-Edge-Malerei, bei der sich die Formen durch „harte Kanten“ scharf gegeneinander abgrenzten, zeichnete sich durch poppige Farben und glatte Oberflächen aus.

Ellsworth Kelly: Blau Gelb, 1968, Privatsammlung © Ellsworth Kelly Foundation
Der Amerikaner Ellsworth Kelly schuf mit Arbeiten wie Blau Gelb Objekte, bei denen Farbe und Form eine Einheit bilden.
Meine Gemälde stellen keine Objekte dar. Sie sind selbst Objekte und fragmentierte Wahrnehmungen von Dingen.

Kenneth Noland: Halbzeit, 1964, ASOM Collection © VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Wie Helen Frankenthaler vor ihm, arbeitete auch Kenneth Noland mit der Soak-Stain-Technik, bei der stark verdünnte Farben auf die ungrundierte Leinwand aufgetragen und von dieser regelrecht aufgesogen wurden.

Al Held: Die Kaiserinwitwe, 1965, Whitney Museum of American Art, New York; Ankauf mit Mitteln der Friends of the Whitney Museum of American Art © VG Bild-Kunst, Bonn 2025, Photo: 2025 Digital image, Whitney Museum of American Art/Scala, Florence
Die Spannung zwischen Zwei- und Dreidimensionalität ist ein zentrales Charakteristikum der Gemälde von Al Held.

Paul Reed: Kohärenz, 1966, National Gallery of Art, Washington; Schenkung von Bill McGillicuddy in Erinnerung an Thomas W. Reed und Robert A. Reed
Für sein Werk Kohärenz wurde Paul Reed durch Jackson Pollocks Blue Poles (Number 11) mit seinem sich wiederholenden Rhythmus starker Linien inspiriert.
Die Flut an Gütern der amerikanischen Konsumgesellschaft wurde auch in der Kunstproduktion reflektiert. Statt Ölfarben verwendeten viele Zeitgenossen industriell hergestellte Acrylfarben oder sogar Wandfarben aus dem Baumarkt. Die Künstler der Minimal Art unterdrückten jede persönliche Handschrift und schufen so Distanz zu ihren Werken; das serielle Arbeiten löste die individuelle Kreation ab. Donald Judd ließ seine Quader aus Plexiglas und Stahl gleich ganz von Arbeitern herstellen. Seine minimalistischen Objekte aus geometrischen Formen thematisierten den sie umgebenden Raum.

Donald Judd: Ohne Titel, 1969, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Sammlung Marzona © VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Donald Judd hatte zunächst Philosophie und Kunstgeschichte studiert und lange als Kunstkritiker gearbeitet. Daneben beschäftigte er sich mit der Malerei. In den 1950er Jahren wurde sein Stil zunehmend abstrakter, um 1962 wandte sich Judd schließlich räumlichen Arbeiten zu.

Ausstellungsansicht von Primary Structures. Younger American and British Sculptors, New York 1966, Photo: Rudolph Burckhardt
1966 zeigte das Jewish Museum in New York mit der Ausstellung Primary Structures. Younger American and British Sculptors eine umfassende Schau des Minimalismus. Die raumgreifenden, geometrischen Objekte waren nicht mehr auf Sockeln präsentiert, sondern standen direkt auf dem Boden oder hingen von der Decke.
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Bridget Riley: Shih-Li, 1975, ASOM Collection © Bridget Riley
Mit der Op-Art, kurz für Optical Art, begann die geometrische Abstraktion zu tanzen. Die statischen, zweidimensionalen Kompositionen der Britin Bridget Riley oder der Amerikanerin Margaret Wenstrup scheinen sich vor unserem Auge auszudehnen, zu rotieren und zu vibrieren. Einflüsse der psychedelischen Kunst und der Geist des Raumfahrtzeitalters sind spürbar. Der Ungar Victor Vasarely schickte einige seiner Graphiken sogar per Raumschiff ins All.

Margaret Wenstrup: Kreisel, 1964, D. Wigmore Fine Art, Inc., New York © Estate of Margaret Wenstrup, Photo: Noel Allum
Margaret Wenstrup kam im New York der 1940er und 50er Jahre in New York in Kontakt mit den modernen abstrakten Strömungen. In der Optical Art verband sie ihre Interessen an geometrischen Mustern und textilem Kunsthandwerk.

Julian Stanczak: Glühwürmchen, 1973, Sammlung David und Kathryn Birnbaum © Estate of Julian Stanczak, Photo: Wes Magyar
Inspiriert von Josef Albers’ Lehren nutzte auch sein Schüler Julian Stanczak das Quadrat als geometrisches Rahmenwerk.
Die Op-Art nutze optische Effekte wie Verzerrung oder Kontraste. Damit schloss sie an die Anfänge der abstrakten Kunst an, denn schon Kandinsky, die osteuropäischen Avantgardisten und Bauhäusler wie Josef Albers hatten die Wirkung von Farbe und Form auf das Auge analysiert. Gleichzeitig löste sich die Op-Art, deren Name nicht zuletzt an die zeitgleiche Pop-Art der 1960er Jahre erinnert, von den spirituellen und intellektuellen Zuschreibung an die Abstraktion. Stattdessen bot sie ein auf die Gegenwart gerichtetes Spiel mit der Wahrnehmung.

Victor Vasarely: Boglar I, 1966, ASOM Collection © VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Victor Vasarely hatte im Paris der 1930er Jahre zunächst als Werbegraphiker gearbeitet. In dieser Zeit begann auch seine Beschäftigung mit der als Trompe-l’Œil bezeichneten illusionistischen Malerei, die den Betrachter täuschen will.