Monet
Mehr als jeder andere Künstler seiner Zeit hatte sich Claude Monet (1840–1926) der Malerei unter freiem Himmel verschrieben. Immer wieder suchte er dieselben Orte auf und reagierte mit seinen Freilichtbildern spontan auf unkontrollierbare Faktoren wie Witterungsverhältnisse und Licht.
Flüchtige Sinneseindrücke wollte er unmittelbar und authentisch auf die Leinwand bannen. Der folgende Barberini Prolog zu der umfangreichen Monet-Retrospektive lädt zu einer Reise durch die verschiedenen Orte ein, aus denen der Künstler Inspiration für seine impressionistische Malerei bezog.
Ich weiß nur, dass ich im Hinblick auf die Natur alles tue, was in meiner Macht steht, um wiederzugeben, was ich empfinde, und dass ich meistens, wenn ich versuche, das wiederzugeben, was ich fühle, die grundlegenden Regeln der Malerei, sollten sie überhaupt existieren, vollkommen vergesse.
Erste Erfahrungen beim Landschaftsstudium unter freiem Himmel machte Monet in der Normandie – der nördlichsten Region Frankreichs, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts als Zentrum des aufstrebenden Bädertourismus etabliert hatte.
Der Strand von Trouville gehört zu seinen bekanntesten frühen Arbeiten und entstand 1870 während der Flitterwochen mit seiner ersten Frau Camille. Trotz der freien Pinselführung achtete er bei der Wiedergabe der Hotels rechts auf architektonische Details – ein typisches Vorgehen für Monet, der die Topographie der von ihm dargestellten Orte stets präzise umzusetzen versuchte.
Neben der Normandie spielte auch der Wald von Fontainebleau eine bedeutende Rolle in Monets Frühwerk.
Das südlich von Paris gelegene Naturgebiet war bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von den Malern der Schule von Barbizon künstlerisch erschlossen worden. Als touristisch beliebtes Ausflugsziel hatten es darüber hinaus zahlreiche bekannte Photographen ausführlich dokumentiert. Wie seine Darstellungen der Normandie richteten sich auch Monets Bilder von Fontainebleau an die Käuferschicht des aufstrebenden Großstadtbürgertums, das sich zusehends über Reisen, Freizeit und Erholung definierte – Hauptthemen seiner impressionistischen Malerei.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Paris grundlegend umgestaltet und modernisiert worden. Mit ihren breiten Boulevards und lichterfüllten Parks bot die französische Hauptstadt den Impressionisten willkommene neue Motive.
Das Flanieren war in Mode, die städtische Bevölkerung verbrachte erstmals freie Zeit im öffentlichen Raum. In seinen Pariser Stadtansichten widmete sich Monet dem Zusammenspiel von urbaner Architektur, lichtdurchfluteten Gärten und komplexen, simultanen Abläufen, die er in Momentaufnahmen von großer malerischer Freiheit festhielt.
Die Eisenbahn spielte eine bedeutende Rolle in Monets Kunst.
Nur aufgrund des sich rapide ausbreitenden Schienennetz war es ihm möglich, sich gezielt mit den verschiedensten Landschaftstypen in ganz Frankreich zu befassen – von den windgepeitschten Atlantikküsten im Norden des Landes bis zum südlichen Licht der Riviera. Erleichtert wurde das Arbeiten in freier Natur auch durch die tragbare Staffelei und industriell produzierte Ölfarben in handlichen, wiederverschließbaren Blechtuben.
Argenteuil
1871 zog Monet mit seiner Frau Camille und ihrem gemeinsamen Sohn Jean nach Argenteuil – einem Vorort von Paris, der für seine imposanten Brückenbauten und Segelregatten bekannt war. Als beliebtes Ausflugsziel bot das pittoreske Städtchen reichlich Motive für Monets der Moderne verpflichtete Malerei. So spürte er vor allem dem regen Treiben rund um die idyllische Flusslandschaft nach, malte Spaziergänger, Segler und Rudersportler entlang der Seine. Während seiner insgesamt sieben Jahre in Argenteuil avancierte der Impressionismus zur bedeutendsten Avantgardebewegung Frankreichs.
Die Seine, mein ganzes Leben habe ich sie gemalt, zu jeder Tageszeit, zu jeder Jahreszeit. Von Paris bis zum Meer. Ich wurde ihrer nie müde: Sie ist für mich immer wieder neu.
Vétheuil
Ende 1878 siedelte Monet nach Vétheuil über – einem verschlafenen mittelalterlichen Seine-Dorf etwa 65 Kilometer nordwestlich von Paris. Die rustikale Umgebung des abgelegenen Wohnorts führte zu einem Wendepunkt in seiner Malerei. Hatte er sich zuvor mit Vorliebe modernen, zeitgenössischen Sujets gewidmet, so setzte er sich nun vor allem mit reiner Landschaftsmalerei und zeitlosen Naturidyllen auseinander. Zu seinen bekanntesten Werken dieser Jahre gehören seine Darstellungen des Eisbruchs auf der Seine, die im extrem kalten Winter von 1880 zugefroren war. Die Bildreihe entstand wenige Monate nach dem Tod Camilles, die im Alter von nur 32 Jahren gestorben war.
Giverny
Nach dem Tod von Camille ging Monet eine Beziehung mit Alice Hoschedé ein, der ehemaligen Partnerin eines seiner wichtigsten frühen Sammler. Gemeinsam mit ihr zog er 1883 nach Giverny, einem kleinen Bauerndorf in der Normandie, das bis zu seinem Tod 1926 seine Heimat bleiben sollte. In seinen Darstellungen der Gegend ging er der Landschaft rund um das fruchtbare Seinetal nach, widmete sich hoch aufragenden Pappelreihen und üppigen Feldern. Mit der Werkreihe der Getreideschober entwickelte er sein berühmtes Serienverfahren, bei dem er ein einziges Motiv bei unterschiedlichen Lichtstimmungen und Witterungsverhältnissen in zahlreichen Variationen in den Blick nahm.
Für mich existiert eine Landschaft nicht an und für sich, weil ihre Erscheinung sich jeden Moment verändert; sie lebt durch das, was sie umhüllt – durch die Luft und das Licht, die ständig wechseln. (…) Für mich erhält das Sujet erst durch seine Umgebung seinen wahren Wert.
Monet war fasziniert von der rauen Atlantikküste im Norden Frankreichs. Der Blick von den Klippen auf den Horizont und die windumtoste See rief gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch einmal die Erfahrung des Erhabenen hervor, die die Maler der Romantik mit der Urgewalt des Meers verbunden hatten.
Viele von Monets Küstenbildern vermitteln den Anschein einer weltentrückten, geradezu mystischen Naturbetrachtung. Somit spiegeln sie einen stark idealisierten Blick auf diese Regionen als abgelegene, vom Fortschritt der Moderne unbelassene Rückzugsorte wider.
Für seine Landschaftsdarstellungen wählte Monet häufig touristisch beliebte Sehenswürdigkeiten, die für die jeweilige Gegend unmittelbaren Symbolcharakter hatten. In Étretat etwa malte er wiederholt die Porte d’ Aval und die Aiguille – markante Felsformationen, die einem hoch aufragenden Bogen und einer Nadel ähnelten. In seinen seriellen Ansichten der Klippen wechselte Monet strategisch den Blickpunkt. Nur so konnte er die kompositorischen Möglichkeiten, die das Zusammenspiel der beiden Strukturen bot, experimentell voll ausschöpfen.
Ich war so vertieft, dass ich nicht merkte, wie eine riesige Welle herankam, die mich gegen den Fels schleuderte, sodass ich mit meinem ganzen Malzeug in der Gischt landete!
1884 und 1888 brach Monet zu zwei ausgedehnten Malausflügen ans Mittelmeer auf. Die leuchtenden Farben und üppige Vegetation rund um die beliebten Ausflugsziele Bordighera und Antibes regten ihn zu zahlreichen sonnendurchfluteten Paradieslandschaften an.
Für den Maler, der an die kühlen Tonalitäten der Normandie gewohnt war, bedeutete das gleißende Licht der Riviera eine willkommene Abwechslung. Gegenüber seinem Freund Théodore Duret äußerte er begeistert, dass man eine Palette aus Diamanten und funkelnden Edelsteinen bräuchte, um den juwelenartigen Farben malerisch gerecht zu werden.
Diese Palmen treiben mich in den Wahnsinn; und auch die Motive lassen sich extrem schwer wiedergeben und auf die Leinwand bannen, alles ist so üppig; (…) aber wenn man nach Motiven sucht, ist es ohnehin sehr schwierig. Ich würde gerne Orangen- und Zitronenbäume vor dem Hintergrund des blauen Meers malen, aber ich kann keine finden, die so sind, wie ich es mir wünsche. Das Blau des Meers und des Himmels ist unglaublich.
In seinem Briefwechsel sprach Monet immer wieder von seinem Bedürfnis zunächst ein Gespür für eine Landschaft entwickeln zu müssen, sich in eine bisher unbekannte Gegend einzuleben, bevor er sie malerisch umsetzen konnte. Häufig tastete er sich schrittweise an einen neuen Ort heran, indem er das Motiv aus mehreren Perspektiven aus darzustellen versuchte Auch in seinen Ansichten Antibes hielt er die Altstadt aus verschiedenen Blickpunkten festhielt.
Ab 1899 verbrachte Monet drei aufeinanderfolgende Winter mehrere Wochen in London, das er bereits zu Beginn der 1870er Jahre besucht hatte.
Zu seinen bekanntesten Ansichten der britischen Hauptstadt zählen seine Darstellungen der Waterloo und Charing Cross Bridge. Die Kombination aus Wasser, Nebel und moderner Steinarchitektur war eine ideale Projektionsfläche für seine Erforschung subtilster Effekte von Farbe und Licht. Aufgrund des ständig wechselnden Wetters beließ Monet seine Bilder der Themse-Brücken zunächst im Stadium von Freiluftskizzen, die er erst nach seiner Rückkehr nach Frankreich überarbeitete und fertigstellte.
Was ich an London am meisten liebe, ist der Nebel. (…) Ohne den Nebel wäre London keine schöne Stadt. Es ist der Nebel, der London eine wunderbare Weite gibt.
Gemeinsam mit seiner Frau Alice verbrachte Monet im Herbst 1908 mehrere Wochen in Venedig – einer Stadt, die wie kaum ein anderer Ort bereits Generationen von Malern vor ihm in den Bann gezogen hatte.
Wie in London konzentrierte sich der Künstler auch hier auf das momenthafte Zusammentreffen von markanten architektonischen Strukturen und farbigen Spiegelungen auf der von flirrendem Licht umspielten Wasseroberfläche. Das leuchtende Kolorit und die geheimnisvollen Farbverläufe verleihen seinen Venedig-Bildern eine seltsam weltentrückte, träumerische Grundstimmung.
Die Einfalt von Schreiberlingen und Malern hatte Venedig der Natur entrissen. Claude Monet kam nach Venedig und brachte die Natur dorthin zurück.
Wie schade, dass ich nicht in jüngeren Jahren herkam, als ich noch voller Wagemut war! Nun ja… Aber ich habe hier wunderbare Momente erlebt und beinahe vergessen, wie alt ich inzwischen bin.
In Giverny ließ Monet in den 1890er Jahren einen opulenten Wassergarten gestalten.
Im Zentrum der Anlage befand sich ein künstlicher Seerosenteich, der von einer japanischen Holzbrücke überspannt wurde. Als aufwendig inszenierte Kulisse transzendierte das selbst geschaffene Paradies die Kategorie des natürlichen Orts in Monets Kunst. Das exotische Environment wurde zum nahezu exklusiven Fokus seines Spätwerks.
Ich habe lange gebraucht, um meine Seerosen zu verstehen. Ich hatte sie zu meinem Vergnügen gepflanzt; hatte sie angelegt, ohne daran zu denken, sie zu malen. Eine Landschaft erschließt sich einem nicht an einem einzigen Tag. Und dann, auf einmal haben sich mir die Zaubereien meines Teichs offenbart. Ich habe zur Palette gegriffen (...). Seit dieser Zeit hatte ich kaum ein anderes Motiv.
Im Werkverzeichnis zu Monets Œuvre sind rund 250 Darstellungen der Seerosen dokumentiert.
Heute zählen diese Arbeiten zu seinen bekanntesten Kompositionen und gelten als Inbegriff der impressionistischen Malerei schlechthin. Das expressive Kolorit und die lockere Pinselführung dieser Bilder machten Monet zu einem der bedeutendsten Wegbereiter der abstrakten Malerei im frühen 20. Jahrhundert.
Ich habe keinen anderen Wunsch, als mich enger mit der Natur zu verbinden und strebe kein anderes Schicksal an als in Harmonie mit ihren Gesetzen zu leben (...). Natur ist Größe, Kraft und Unsterblichkeit; im Vergleich zu ihr ist ein Geschöpf nichts als ein armseliges Atom.