Die Form der Freiheit
Die Ausstellung Die Form der Freiheit. Internationale Abstraktion nach 1945 widmet sich den beiden wichtigsten Strömungen der Nachkriegsabstraktion: dem Abstrakten Expressionismus in den USA und der informellen Malerei in Westeuropa. Als erste Schau erkundet Die Form der Freiheit den transatlantischen Dialog der beiden Kunstrichtungen von Mitte der 1940er Jahre bis zum Ende des Kalten Krieges.
Die Ausstellung versammelt 97 Arbeiten von mehr als 50 Künstlerinnen und Künstlern, darunter zahlreiche Ikonen der Nachkriegsabstraktion. Ausgangspunkt der Werkschau sind mehrere bedeutende Gemälde der Sammlung Hasso Plattner, die auch zahlreiche Schlüsselwerke des französischen Impressionismus umfasst. Künstlerinnen und Künstler wie Joan Mitchell, Sam Francis und Norman Bluhm ließen sich von der impressionistischen Landschaftsmalerei anregen. Insbesondere die nahezu abstrakt wirkenden Seerosen-Darstellungen Claude Monets betrachteten viele als Vorwegnahme der Kunstentwicklung des 20. Jahrhunderts.
Aufgabe des Künstlers war es doch immer, Bildwelten zu schaffen. Verschiedene Zeiten verlangen nach verschiedenen Bildern. (…) Die sogenannte Abstraktion ist für mich durchaus keine Abstraktion. Im Gegenteil, sie ist der Realismus unserer Zeit.
Die Ausstellung vereint ikonisch gewordene Positionen wie Jackson Pollock, Mark Rothko, Lee Krasner, Barnett Newman, Georges Mathieu und Ernst Wilhelm Nay mit weniger bekannten Künstlerinnen und Künstlern, deren Beitrag zur Entwicklung der abstrakten Malerei nach 1945 aus dem Blick geraten sind: Jean Degottex, Perle Fine, Simon Hantaï, Manolo Millares, Judit Reigl, Janet Sobel, Hedda Sterne und Theodoros Stamos gehören zu den zahlreichen Entdeckungen der Ausstellung.
Der Barberini Prolog zur Ausstellung ...
... zeigt vertiefend, wie sich der Abstrakte Expressionismus und das Informel nach Ende des Zweiten Weltkriegs als die führenden Strömungen der Avantgarde etablierten und einander im transatlantischen Austausch beeinflussten und inspirierten.
Die 1940er Jahre markieren einen Wendepunkt in der Entwicklung der modernen Malerei. Der Zweite Weltkrieg, die Gräuel des Holocaust, die Schockwirkung von Hiroshima und Nagasaki: Ereignisse, die Malerinnen und Maler zu einer existenziellen Sinnsuche anregten. Für viele von ihnen bedeutete die Abstraktion in erster Linie eine Abwendung von der menschlichen Figur – bis dahin ein Kernthema der westlichen Malerei.
Paris, internationales Zentrum der modernen Malerei von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1940er Jahre, verlor seine Vorrangstellung zunehmend an New York. Zahlreiche europäische Künstlerinnen und Künstler der Avantgarde flohen vor Krieg und Verfolgung in die USA. In Galerien wie Peggy Guggenheims „Art of this Century“ tauschten sie sich mit jungen amerikanischen Malerinnen und Malern aus. Für Künstler wie Arshile Gorky, Mark Rothko und Jackson Pollock waren die Europäer bedeutende Vorbilder.
Mit der „New York School“ entwickelte sich ein avantgardistisches Künstlerkollektiv, das aus europäischen Exilkünstlern und ihren amerikanischen Kollegen bestand. In den 1950er und 60er Jahren etablierten sie sich als Pioniere des Abstrakten Expressionismus. Unter ihnen war auch Hedda Sterne, eine der wenigen Frauen, die sich im männerdominierten Kunstbetrieb der 1950er Jahre behaupten konnte.
Obwohl die Künstler der neuen Bewegung keinen einheitlichen Stil pflegten und auch kein gemeinsames Manifest teilten, kamen sie in der Grundvorstellung überein, dass Malerei nicht die äußere Wirklichkeit abbilden solle. Stattdessen sahen sie ihre Aufgabe in der instinktiven Vermittlung von Ausdruck und Emotion. Sie verstanden die Leinwand als eine Bühne, auf der sich kreative Kräfte frei und spontan entfalten sollten. Diesen Geist spiegelt auch ein 1943 verfasstes Statement einiger in New York tätiger Avantgarde-Künstler wider:
Kunst ist für uns eine abenteuerliche Reise in eine unbekannte Welt, die nur von denjenigen erforscht werden kann, die bereit sind, die Risiken auf sich zu nehmen. (…) Es ist unsere Aufgabe als Künstler, die Betrachter dahin zu bringen, die Welt mit unseren Augen zu sehen – nicht mit ihren.
Bereits vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs hatten die Pariser Surrealisten Techniken entwickelt, um Elemente des Zufalls in die Bildgestaltung einfließen zu lassen. In semi-automatischen Verfahren versuchten sie, durch eine schnelle Umsetzung ohne vorherige Planung eine unmittelbare, dynamische Malerei zu entwickeln. Gleichzeitig sollte dieses Vorgehen die schöpferischen Kräfte des Unbewussten freisetzen. Für das sogenannte Action-Painting bezogen die Abstrakten Expressionisten Anregungen aus den Werken ihrer europäischen Kollegen.
Zu einem bestimmten Zeitpunkt erschien einer Reihe amerikanischer Künstler die Leinwand (…) als eine Arena, in der es zu agieren galt. Nicht ein Bild gehörte auf die Leinwand, sondern ein Ereignis. Der Maler ging nicht mehr mit einem Bild im Kopf an seine Staffelei; er trat mit einem Material in der Hand an sie heran, um damit dem anderen Stück Material vor seiner Nase etwas anzutun. Das Bild war jetzt das Ergebnis dieses Zusammentreffens.
Die meisten der Abstrakten Expressionisten fertigten keine Vorzeichnungen an. Beim Action-Painting stand stattdessen die spontane, malerische Geste im Vordergrund: für die Künstler ein Mittel der Selbstbehauptung. Typisch für die Werke sind ein kräftiger Duktus und eine energische Pinselführung.
Impulsiv gesetzte Farbe prägt auch Hans Hofmanns Erstes Sprießen. Der 1880 in Bayern geborene Maler wurde nach seiner Emigration in die USA Anfang der 1930er Jahre zu einem der wichtigsten Impulsgeber des Abstrakten Expressionismus.
Als Pädagoge an Kunstschulen in New York und Provincetown brachte er seine Kenntnisse der deutschen und französischen Avantgarde-Malerei Schülerinnen wie Perle Fine, Helen Frankenthaler, Lee Krasner und Joan Mitchell nahe.
Kein Zentrum und kein Vordergrund, kein ‚Oben‘ und kein ‚Unten‘: Bei Allover-Effekten ist jeder Teil des Gemäldes gleichberechtigt ausgearbeitet. Der Bildraum wirkt häufig wie ein willkürlich gewählter Ausschnitt und die Komposition lässt sich über den Rand hinweg weiterdenken.
Die Abstrakten Expressionisten versuchten, das Verhältnis von Bildgrund und Malschicht neu zu definieren. Sie vermieden den Eindruck räumlicher Illusion und betonten die Präsenz der Leinwand als zweidimensionale Fläche.
Bekanntestes Beispiel für Allover-Effekte sind Jackson Pollocks sogenannte Drip-Paintings, für die er die Leinwand auf den Boden seines Ateliers legte und sie mit einem dichten Netz aus Farbschlieren bedeckte, die er mit rhythmischen Tanzbewegungen auf den Bildträger tropfte, schleuderte oder goss.
Die oft freskenartige, monumentale Größe von Pollocks Drip-Paintings wurde zu einem Markenzeichen des Abstrakten Expressionismus. Kritiker beschrieben die Werke oft als imposant, episch oder heroisch und stellten ihre als überwältigend empfundene, sinnliche Raumwirkung in den Vordergrund. Mit ihrem Fokus auf ein freies Spiel von Farbe und Form radikalisierten die amerikanischen Künstler der Nachkriegszeit eine Tendenz, die sich bereits in der französischen Landschaftsmalerei des späten 19. Jahrhunderts abgezeichnet hatte.
Die revolutionär neue Technik beeinflusste ab den frühen 1950er Jahren auch die Entwicklung der europäischen Abstraktion. Ohne eine geometrische Struktur zu haben, zeichnen sich die Werke oft durch einen ornamentalen Charakter aus.
Auch Pollocks Lebensgefährtin und spätere Ehefrau Lee Krasner war Pionierin des Abstrakten Expressionismus, wurde jedoch jahrzehntelang von Kritikern und Kunsthistorikern ignoriert. Der gegenseitige Austausch des Paares beschränkte sich dabei nicht nur auf gegenseitige Inspiration: So verwendete Lee Krasner in ihrer Arbeit Weißkopfseeadler verworfene Drippings ihres Ehemannes.
Wenn man das Unbewusste als Antriebsquelle nutzt, heißt das nicht, dass daraus unbewusste Gemälde entstehen, denn das Bewusstsein ist mit im Spiel. Der Künstler ist mit im Spiel. Er agiert bewusst. Jedes Innehalten oder Weitermachen, jeder nächste Schritt ist ein bewusster Akt.
Neben dem Action-Painting entwickelte sich im Abstrakten Expressionismus ein zweites Verfahren: das Color Field Painting, die Farbfeldmalerei. Hierbei setzten die Künstler auf rhythmisch angeordnete Flächen unter Beschränkung auf wenige Farben.
Auch bei der Farbfeldmalerei entstanden große, teils monumentale Formate ohne räumliche Tiefenwirkung. Viele Werke sind auf einen nahen Betrachterstandort angelegt und sollen zu einer kontemplativen Versenkung in den Bildraum einladen.
Ich bin nur daran interessiert, grundlegende menschliche Emotionen auszudrücken – Tragödie, Ekstase, Verhängnis und so weiter. Und die Tatsache, dass viele Menschen zusammenbrechen und weinen, wenn sie mit meinen Bildern konfrontiert werden, zeigt, dass ich diese grundlegenden menschlichen Gefühle vermittele. (...) Die Menschen, die vor meinen Bildern weinen, machen die gleiche religiöse Erfahrung, die ich hatte, als ich sie malte.
Einer der Vorreiter der Farbfeldmalerei war Clyfford Still. Während Maler wie Mark Rothko die Farbe in dünnen Schichten auftrugen, arbeitete Still mit pastosen, reliefartigen Oberflächen, die er mithilfe von Spachteln texturierte.
Auch Adolph Gottlieb stellte seine Malerei mit einer existenziellen Sinnsuche in Zusammenhang. In einem mit Mark Rothko verfassten Text von 1943 schrieben die Künstler, dass „nur zeitlose und tragische Bildthemen Wert besitzen“, und bekundeten ihre „geistige Verwandtschaft mit der primitiven und archaischen Kunst“. In seiner Malerei suchte Gottlieb nach einer universellen Bildsprache und entwickelte dabei eine Tendenz zur Reduktion, die sich in seiner Burst-Serie widerspiegelt.
Mit dem Staining-Prozess entwickelte Helen Frankenthaler ein Verfahren, das Elemente von Action-Painting und Color Field Painting zusammenführte. Dazu begoss sie den Bildgrund mit stark verdünnter Farbe, der als formtragender ‚Fleck‘ in die Faser des Stoffs einzog. Da die Farbe die ungrundierte Leinwand nicht bedeckt, sondern die Fasern vollständig einfärbt, wird die traditionelle Trennung von Bildgrund und Malschicht aufgehoben.
Durch Anheben und Bewegen der Bildträger ließ Frankenthaler die Farben frei über den Malgrund fließen. Ihren ungegenständlichen Werken gab sie oft gegenständliche, assoziative Titel. Zentrale Bezugsmotive für Helen Frankenthalers großformatige Abstraktionen bilden Landschaft und Natur.
Jedes gelungene Bild – ein abstraktes Werk oder eine Landschaft – hat seinen Ort und seine Richtigkeit und besitzt die Fähigkeit, zu überdauern und zu wachsen. Es geht nicht darum, einfach einen Baum zu malen, sondern ein Bild zu machen, das funktioniert.
Auch Helen Frankenthalers Kollege Morris Louis wendete für seine Color Field-Gemälde die Staining-Technik an, den er nach einem Besuch in Frankenthalers Atelier 1953 beeindruckt als gestalterisches Mittel übernahm. Er begoss die Leinwand mit sorgfältig aufeinander abgestimmten Farbfolgen, die ein rhythmisches Muster leuchtender Schleier ergaben.
Mit der Befreiung der Farbe von der Form griff die amerikanische Nachkriegsavantgarde eine Tendenz auf, die bereits für die französische Landschaftsmalerei des späten 19. Jahrhunderts kennzeichnend gewesen war.
Sam Francis, der den Abstrakten Expressionismus während seines Studiums Ende der 1940er Jahre in den Arbeiten Mark Rothkos und Clyfford Stills kennengelernt hatte, setzte sich mit Monets Naturdarstellungen auseinander.
Ab 1950 verbrachte er mehrere Jahre in Paris, wo er auch den Austausch zwischen Abstraktem Expressionismus und informeller Malerei förderte. Aufgrund seiner amerikanischen Herkunft und gleichzeitig engen Anbindung an die französische Kunstszene wurde Francis auf beiden Seiten des Atlantiks früh als ein Bindeglied zwischen Paris und New York wahrgenommen.
Eine weitere Malerin des Abstrakten Expressionismus, die früh Anbindung an die Pariser Kunstszene fand, war Joan Mitchell. Anders als Francis hatte Mitchell ihr internationales Renommee zunächst in New York ausgebaut, wo sie im Mai und Juni 1951 an der wegweisenden 9th Street Art Exhibition beteiligt war und neben Willem de Kooning, Franz Kline und Robert Motherwell zur Avantgardeclique rund um die Künstlergruppe The 8th Street Club in Lower Manhattan gehörte.
Ab Mitte der 1950er Jahre verbrachte Mitchell regelmäßig längere Zeit in Frankreich, wo sie sich Ende des Jahrzehnts dauerhaft niederließ. Über Sam Francis machte sie die Bekanntschaft zahlreicher Künstler und Kritiker, die dem Umfeld des Informel angehörten, darunter Georges Mathieu, Judit Reigl, Michel Tapié und Simon Hantaï, mit dem sie eng befreundet war.
1968 zog Mitchell in das Seinedorf Vétheuil, wo sie in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Hauses von Claude Monet lebte. Zahlreiche ihrer farbexpressiven Action-Paintings erinnern an seine lichtdurchfluteten Landschaftsbilder.
Ich male von Landschaften, die ich in meiner Erinnerung mit mir herumtrage, und erinnerten Gefühlen von ihnen (...) Ich könnte sicherlich nie die Natur wiedergeben. Ich möchte vielmehr malen, was sie in mir hinterlässt.
In der europäischen Malerei waren die 1940er Jahre eine Phase tiefgreifender Veränderungen. Zahlreiche Künstler hatten am Krieg teilgenommen oder unter der Diktatur faschistischer Regime gelitten. Wie in der US-amerikanischen Kunst rückte die Figuration in den Hintergrund.
Parallel zum Abstrakten Expressionismus in den USA entwickelte sich in Paris und anderen westeuropäischen Metropolen die Malerei des Informel. Ihrer offenen, ‚formlosen‘ Bildstruktur lag ein improvisatorischer Umgang mit Pinselführung, Oberflächengestaltung und Material zugrunde.
In vielen Gemälden rufen Kratzer, Löcher oder Einkerbungen ein Gefühl körperlicher Wunden hervor. In einer von Gewalt und faschistischem Terror traumatisierten Nachkriegswelt war die gestische Malerei auch Ausdruck der existenziellen Sinnsuche.
Mit den Künstlern des Informel formierte sich auch die École de Paris neu, wobei den Künstlern Wols und Jean Dubuffet eine tragende Rolle zukam.
In Amerika wurde die Bewegung des Informel bald als europäisches Pendant zum Abstrakten Expressionismus wahrgenommen und intensiv rezipiert. Im Oktober 1950 eröffnete die Gruppenausstellung Young Painters in the U.S. and France in der Sidney Janis Gallery, wo je sieben Maler aus Frankreich und den USA zu visuellen Dialogpartnern gruppiert wurden, etwa Mark Rothko mit Nicolas de Staël oder Hedda Sterne mit Maria Helena Vieira da Silva.
Drei Jahre später organisierte das Solomon R. Guggenheim Museum die Präsentation Younger European Painters, in der das Informel mit Arbeiten von Alberto Burri, Hans Hartung, Georges Mathieu und Jean-Paul Riopelle vertreten war. 1955 folgte das Museum of Modern Art mit The New Decade. 22 European Painters and Sculptors, auf der Karel Appel, Alberto Burri, Jean Dubuffet, Pierre Soulages und Fritz Winter gezeigt wurden.
Viele können sich nicht vorstellen, dass Malerei der Ausdruck eines menschlichen Wesens ist, das anders denkt. Wenn sie „das Chinesisch“ unserer Bilder verstehen könnten, würden sie die Tristesse des Alltags aus ihnen herauslesen und ihre Befreiung und Entsagung spüren. (...) Sie erkennen nicht, dass der Akt des Malens unsere ganze Hoffnung ist. Sie verstehen nicht, dass wir mit den klaren Linien unserer Gemälde Extremes und Unbekanntes enthüllen müssen.
In Europa entwickelte sich ab Ende der 1940er Jahre eine eigene Spielart des Action-Paintings. Durch den Surrealismus waren die Künstler mit automatischen Gestaltungsverfahren vertraut und führten sie in der Malerei des Informel fort.
1952 fand in Paris die erste Einzelausstellung Jackson Pollocks in Frankreich statt. Sie zeigte mehrere großformatige Drip-Paintings und wurde von zahlreichen Avantgarde-Künstlern besucht. Im begleitenden Katalog bezeichnet der französische Galerist Michel Tapié die erstmalige Präsentation von Pollocks Werken als „eine Bombe in der Pariser Kunstwelt“.
Noch vor Jackson Pollock hatte Georges Mathieu eine Tropf- und Schütt-Technik entwickelt. Viele seiner kalligraphisch anmutenden Action-Paintings stellte er in einem kreativen Rausch in nur wenigen Stunden fertig.
Judit Reigl war Anfang der 1950er Jahre aus Ungarn nach Paris emigriert, wo sie zunächst Anschluss an die Surrealisten gefunden hatte. Unter dem Einfluss der New York School experimentierte sie später mit einer gestisch-impulsiven Malerei.
In vielen Werken schleuderte sie mit Leinöl vermischte Industriefarbe gegen die Leinwand, die sie mit ihren bloßen Händen oder metallenen Hilfsgeräten auf dem Bildgrund verteilte. Mit der spielerischen Einbindung des eigenen Körpers stehen solche Strategien an der Grenze zu neuen Ausdrucksformen wie Happening und Performance.
Von 1933 bis 1945 hatte der Nationalsozialismus ein freies Kunstschaffen in Deutschland unmöglich gemacht. Eine Auseinandersetzung mit neuen Entwicklungen im Ausland war kaum möglich gewesen. Nach Kriegsende suchten die jungen Maler enge internationale Kontakte und reisten nach Paris.
Bereits Anfang der 1950er Jahre wurde die Bundesrepublik zu einem Zentrum der informellen Malerei. Ungegenständlich zu malen schien vielen nach den Kriegsgräueln und dem Holocaust der einzig mögliche Weg. Auch den westdeutschen Künstlern der Nachkriegszeit ging es um spontane, dynamische Prozesse – Ausdruck einer neu empfundenen künstlerischen Freiheit.
„Die einzigen, die vielleicht eine Ahnung von Freiheit haben, weil sie ihnen im Blut liegt, weil sie eingefleischte Individualisten und Aufsässige von Natur sind – die Künstler – werden weiterhin verlacht, angefeindet und beschimpft, als wären die Nazis noch am Ruder, als wäre das 3. Reich mit seinem Haß mit seiner verlogenen, spießigen und verkitschten Ästhetik über seinen Untergang hinaus siegreich geblieben (...).Malen! Ich versuche zu malen, ich habe mir in den Kopf gesetzt, ein guter Maler zu werden. Ist das nicht Wahnsinn, nach allem, was geschehen ist?
Die deutsche Sonderrolle im Kalten Krieg und die Anbindung der Bundesrepublik an die Westmächte begünstigte die Hinwendung zur Abstraktion zusätzlich. Als Gegenentwurf zum sozialistischen Realismus in der DDR wurde die Abstraktion als vermeintlich allgemeingültige Ausdrucksform freiheitlicher Demokratien auch politisch instrumentalisiert.
So feierten zahlreiche Kunsthistoriker die Abstraktion als ‚universelle‘ Bildsprache der freiheitlichen Moderne – ein Konstrukt der Nachkriegszeit, das die Kunstgeschichtsschreibung bis heute mitbestimmt.
Einer der bedeutendsten Vertreter des deutschen Informel war K. O. Götz. Bei Aufenthalten in Paris lernte er Vorreiter des Informel wie Georges Mathieu und Jean-Paul Riopelle kennen und machte sich mit Arbeiten des Abstrakten Expressionismus vertraut. 1952 begann Götz mit einer neuen Maltechnik zu experimentieren, die Parallelen zum US-amerikanischen Action-Painting aufwies.
Ein weiterer prägender Künstler der deutschen Nachkriegsabstraktion war Ernst Wilhelm Nay. In den 1930er Jahren hatte Nay in einem figürlichen Stil gearbeitet, der vom deutschen Expressionismus beeinflusst war. Die Nationalsozialisten hatten über ihn ein Mal- und Ausstellungsverbot verhängt.
Seine ersten ungegenständlichen Werke fertigte er Anfang der 1950er Jahre. Inspiration konnte er aus der abstrakten Bildsprache Wassily Kandinskys beziehen, den er 1943 in Paris besucht hatte. Früh wurde Nay auch in den USA rezipiert.
Eine Zuordnung seiner Bilder zur informellen Malerei oder dem Abstrakten Expressionismus lehnte Ernst Wilhelm Nay ab und sprach stattdessen von einem „chromatischen Konstruktivismus“, in dem es um die malerische Erforschung des perspektivlosen Raums gehe.
In den 1950er Jahren hatte sich die informelle Malerei als dominante Stilrichtung der westdeutschen Avantgarde etabliert. Viele Arbeiten, die als Reaktion auf das Informel entstanden, zeigen dabei Anklänge an den Abstrakten Expressionismus. Dabei ging es den Künstlern nie um eine Nachahmung etablierter Bildformeln. Im Spannungsfeld von Action-Painting und Farbfeldmalerei wurde der Vorrang von Farbe oder Form, subjektiver Gestik oder rational gegliederter Fläche stets individuell ausgelotet.
Der transatlantische Schulterschluss der gestischen Abstraktion zeigte sich auch in der frühen internationalen Rezeption der zwei Kunstrichtungen. Ein Schlüsselmoment war die documenta II von 1959, auf der Arbeiten des Abstrakten Expressionismus und der informellen Malerei als Ausdruck einer universellen Weltsprache der Abstraktion in Szene gesetzt wurden. Ungeachtet aller nationalen Schulen schien die freie Abstraktion das Gebot der Stunde.
In seinem einflussreichen Buch How New York Stole the Idea of Modern Art skizziert der Kunsthistoriker Serge Guilbaut 1983 die These, New York habe sich nach dem Zweiten Weltkrieg als globales Epizentrum der Avantgardemalerei etabliert und Paris damit den Rang abgelaufen. Darüber hinaus ist häufig darauf hingewiesen worden, inwiefern insbesondere die USA die freie Abstraktion auch als ein Propagandamittel im Kalten Krieg instrumentalisierten. Die politische Aufladung der Nachkriegsabstraktion spielte jedoch kaum eine Rolle für die Künstler selbst, deren Austausch ein gegenseitig befruchtender Dialog auf Augenhöhe war.
Mit dem Abstrakten Expressionismus in den USA und der informellen Malerei in Westeuropa waren zeitgleich die zwei wichtigsten Strömungen der internationalen Nachkriegsabstraktion herangereift. Die beiden Bewegungen waren zutiefst wesensverwandt, speisten sich weitgehend aus den gleichen Vorbildern und Quellen und entwickelten ihre radikal neue Bildsprache als unmittelbare Reaktion auf die Erschütterungen des Zweiten Weltkriegs. Insbesondere mit Blick auf den Dialog zwischen New York und Paris gab es ab Ende der 1940er Jahre zahlreiche konkrete Anknüpfungspunkte, die einen kreativen Austausch ermöglichten.
Die Ausstellung Die Form der Freiheit zeigt nun erstmals die Intensität und Nachhaltigkeit dieses transatlantischen Wechselspiels.